Herbsttagebuch: Roman (German Edition)
Daniel lachend. »Warum legst du dich dann mit Immobilienhaien
an? Vicki hat, bevor sie weggefahren ist, sogar den Anwalt der Familie angerufen
und gefragt, ob er etwas weiß.«
»Ehrlich?«,
rufe ich aufgeregt. »Das heißt, Kletzin ist ihr nicht mehr egal?«
»Vielleicht
kommt jetzt doch so etwas wie Familiensinn bei ihr durch.«
Vor Freude
falle ich Daniel um den Hals. Ich bin wahnsinnig glücklich, dass meine idiotische
Nummer bei BB-Immo-Net eine positive Auswirkung hatte.
»Und wir
helfen ihr dabei!«
Daniel und
ich wollen zusammen in der Bibliothek nach Augustas Besitzurkunde suchen. Vicki
ist vor einer Stunde zu ihrem Verlag nach München gefahren. Ein bisschen fühle ich
mich wie ein Eindringling, weil sie nicht weiß, dass ich hier bin, aber es dient
einem guten Zweck, also sehe ich über die unangenehmen Gefühle hinweg.
Daniel und
ich kehren das Unterste zu Oberst. Beinahe jedes Buch nehmen wir aus den Regalen,
drehen es, wenden es, blättern es durch. Mal angenommen, Augusta hat ihr Testament
und die Besitzurkunde versteckt, damit Friedrich sie nicht findet und vernichtet,
dann können sie überall sein.
Nach zwei
Stunden tun mir alle Knochen weh und die Bibliothek sieht aus, als wäre ein Hurrikan
hindurchgefegt. Daniel und ich kochen uns Kaffee und ordern eine Pizza.
»Ich kann
es nicht fassen, dass wir nichts finden«, sagt er. »In vier Tagen fangen die Abrissarbeiten
an, verflucht.«
»Glaubst
du, wir schaffen es nicht?«, frage ich ängstlich.
Er zuckt
nur die Schultern. »Lass uns weitersuchen, okay!«
Als ich drei Stunden später zu Leo
komme (es ist 1 Uhr nachts), ist er noch immer nicht zu Hause. Ich bin todmüde und
lege mich sofort schlafen. Übermorgen ist die Premiere und ich sollte nicht völlig
übermüdet sein, wenn der große Tag gekommen ist.
Daniel und
ich haben nichts gefunden, dabei haben wir jeden Winkel, jedes Buch der Bibliothek
durchstöbert. Ich nehme das Tagebuch in die Hand und schaue mir Augustas Foto an,
kurz bevor ich das Licht ausknipse.
»Es tut
mir leid«, sage ich. »Ich glaube, wir können nichts mehr für dein Zuhause tun.«
Sie lächelt
mich an. ›Du hast so viel getan‹, scheint sie mir zu antworten.
»Aber nicht
genug«, sage ich zu mir selbst.
In dieser
Nacht träume ich, dass ich durch einen Irrgarten laufe. Draußen stehen Leo und Basti.
Sie rufen mich.
»Hier entlang!«
»Nein! Hier
entlang!«
Ich weiß
nicht, wohin ich gehen soll und fange an zu weinen, weil ich nicht hinaus finde.
Um die Botschaft
dieses Traums zu kapieren, muss man wohl kein Psychologe sein!
*
Die Premiere rauscht an mir vorbei.
Eigentlich kriege ich vor Aufregung gar nichts mit, außer den gewaltigen, tosenden
Applaus am Schluss und das Getrampel der begeisterten Zuschauer, die unsere Darsteller
wieder und wieder für eine Zugabe hinaus auf die Bühne locken wollen.
Es ist ein
unglaublich tolles Gefühl, dass ein Teil dieser Begeisterung mir und meinen Kolleginnen
gilt. Atemlos habe ich mir die Kostüme auf der Bühne angeschaut, vor allem die von
Rosana, von denen jedes einzelne allein auf meinem Mist gewachsen ist.
Während
sie singt, tanzt, liebt und leidet, nach ihrem Liebsten sucht, sich von Oran verführen
lässt und sich entscheidet, am Ende zurück in ihre Welt zu gehen, erkenne ich einen
Teil von mir selbst in Rosanas Geschichte.
Auch ich
habe mich in eine andere Welt verführen lassen. Und genau wie Rosana weiß ich auf
einmal ganz genau, was ich zu tun habe, damit am Ende alles gut wird.
Nach der
Aufführung feiern wir. Ich habe mir meine Garderobe für diesen Anlass nicht gekauft,
sondern selbst genäht – ein trägerloses, schmales Abendkleid aus königsblauer Seide,
bodenlang und mit einer nach hinten gebundenen Schleife um die Taille. Dazu trage
ich eine Clutch aus gleichfarbigem Spitzenstoff und natürlich gefährlich hohe Pumps.
Zum Glück habe ich wieder zwei Kilo zugenommen, sodass ich zwar schmal, aber nicht
verhungert aussehe. Eine unserer Maskenbildnerinnen hat mich toll geschminkt und
mir die Haare kunstvoll mit Perlenschnüren verziert und aufgesteckt.
Als Leo
und ich zusammen zu den Premierengästen ins Foyer des Theaters kommen, werden wir
mit stürmischem Applaus begrüßt. Ich verstehe, warum manche Menschen trotz all der
Anspannung, trotz Stress und Konkurrenzdruck die Bühne suchen. Der Applaus macht
einfach süchtig.
Leo hält
meine Hand.
Ich suche
den Saal nach Basti ab. Mein Herz klopft wie
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