Hercule Poirots Weihnachten
Augen standen leicht vor und trugen immer einen lauernden Ausdruck. Er hatte massige Kiefer, und seine Redeweise war ebenso langsam wie pedantisch.
Eben sagte er bedeutungsvoll: «Ich hab dir gesagt, Magdalene, dass ich es für meine Pflicht halte, hinzugehen.»
Seine Frau, eine gertenschlanke, platinblonde Erscheinung mit gezupften Augenbrauen in dem ovalen Gesicht, zuckte ungeduldig die Achseln. Sie konnte, wenn sie wollte, eine völlig ausdruckslose Miene zeigen, und das tat sie eben jetzt. «Liebling, es wird ganz und gar grässlich werden.»
«Außerdem», überging George Lee ihren Einwurf, «können wir dadurch allerhand sparen. Weihnachten ist immer eine teure Zeit. Die Dienstboten können wir mit einem Trinkgeld abfertigen.»
«Wie du meinst. Weihnachten ist so oder so schließlich immer und überall langweilig.»
«Natürlich erwarten sie ein Weihnachtsessen», fuhr George fort. «Ein anständiges Stück Braten muss genügen; kein Truthahn.»
«Wer? Die Dienstboten? O George, hör doch auf! Immer machst du dir Sorgen wegen des Geldes.»
«Jemand muss sie sich schließlich machen.»
«Gut, aber doch nicht in einer so kleinlichen und lächerlichen Weise. Warum verlangst du nicht einfach mehr Geld von deinem Vater?»
«Sein monatlicher Zuschuss ist sehr anständig.»
Magdalene sah ihn an. Ihre hellbraunen Augen blickten plötzlich wach und scharf, und das Gesicht war nicht mehr ausdruckslos.
«Er ist enorm reich, George. Millionär oder noch reicher!»
«Doppelter Millionär, wenn nicht mehr.»
«Wie ist er bloß zu so viel Geld gekommen?», seufzte Magdalene neiderfüllt. «In Südafrika?»
«Er hat in jungen Jahren dort unten ein Vermögen verdient - hauptsächlich mit Diamanten. Und als er nach England zurückkam, investierte er sein Geld sehr klug, so dass sich sein Vermögen noch verdoppelte oder verdreifachte.»
«Und was wird damit, wenn er einmal stirbt?»
«Darüber hat Vater noch nie gesprochen. Und offen danach fragen kann man schließlich nicht. Ich vermute, dass der Großteil des Geldes an Alfred und mich fallen wird – an Alfred wahrscheinlich mehr als an mich. David wird bestimmt nicht viel bekommen. Vater hat ihm seinerzeit gedroht, er werde ihn enterben, wenn er ernstlich bei seiner Malerei, oder was er treibt, bleiben wolle; aber David kümmerte sich nicht darum.»
«Dumm von ihm!», sagte Magdalene verächtlich.
«Und dann meine Schwester Jennifer. Sie ging mit einem Ausländer, mit einem spanischen Künstler, einem von Davids Freunden, durch. Vor einem Jahr ist sie gestorben, hat aber eine Tochter hinterlassen, soviel ich weiß. Vielleicht wird Vater dieser Enkelin auch etwas vermachen, aber bestimmt nicht viel. Ja, und dann natürlich Harry…» Er stockte leicht verlegen.
«Harry? Wer ist Harry?», fragte Magdalene erstaunt.
«Mein – hm – mein Bruder.»
«Ich wusste nicht, dass du noch einen Bruder hast!»
«Nun, er ist nicht gerade eine Ehre für die Familie, meine Liebe. Wir sprechen nicht von ihm. Er hat sich unglaublich benommen. Nachdem wir nun schon seit einigen Jahren nichts mehr von ihm gehört haben, kann man wohl annehmen, dass er gestorben ist.»
Magdalene lachte plötzlich hell auf. Auf Georges fragendes Stirnrunzeln antwortete sie: «Ich musste nur eben daran denken, wie komisch es ist, dass du – du, George – einen verrufenen Bruder haben sollst! Du bist so ungemein respektabel!»
«Das will ich hoffen», erwiderte er kalt.
Sie kniff die Augen zusammen: «Dein Vater ist nicht, ist kein sehr achtbarer Mann, George, nicht wahr?» – «Ich bitte dich, Magdalene!»
«Manchmal sagt er Dinge, die mir ziemlich wider den Strich gehen, das kannst du mir glauben.»
«Magdalene! Wirklich! Denkt Lydia auch so wie du?»
«Mit Lydia redet er ganz anders», fuhr Magdalene gereizt auf. «Sie verschont er mit seinen sonderbaren Bemerkungen, obwohl ich nicht einsehe, weshalb!»
George sah sie rasch an und blickte sofort wieder weg.
«Nun», sagte er ausweichend, «wir müssen nachsichtig sein. Vater wird alt, und seine Gesundheit ist auch nicht die beste.»
«Ist er wirklich sehr krank?», fragte sie.
«Das möchte ich nicht sagen. Er ist ungemein zäh. Aber wenn er nun einmal zu Weihnachten seine Familie um sich sehen will, dann finde ich, dass wir seiner Bitte entsprechen sollten. Es könnte doch sein letztes Weihnachtsfest sein.»
«Sagst du, George», fiel sie scharf ein, «aber ich glaube, dass er noch Jahre zu leben hat.»
Verwirrt, beinahe
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