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Hercule Poirots Weihnachten

Hercule Poirots Weihnachten

Titel: Hercule Poirots Weihnachten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Agatha Christie
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spräche.
    «Das kommt ganz darauf an, wie dir zumute ist, David.»
    Hilda war eine stattliche Frau, nicht schön, aber irgendwie anziehend. Sie erinnerte an die Frauenbilder niederländischer Meister. Ihre Stimme war warm und voll. Sie wirkte kräftig, ruhig und verfügte über jene vitale Sicherheit, die schwache Menschen unweigerlich anzieht. Eine etwas zu dicke, nicht große Frau mittleren Alters, nicht intelligent, nicht charmant, aber dennoch jemand, den man unmöglich übersehen konnte. Hilda Lee hatte Kraft!
    David stand auf und begann im Zimmer auf und ab zu gehen. Sein Haar wies noch keinen grauen Schimmer auf, und sein Gesicht wirkte unwahrscheinlich knabenhaft.
    «Du weißt, wie mir zumute ist, Hilda, du musst es wissen», sagte er ernst.
    «Ich bin nicht so sicher.»
    «Aber ich habe es dir doch oft und oft gesagt. Wie ich alles hasse – dieses Haus und die Landschaft und alles. Es bringt nur das alte Elend wieder zurück. Ich war keine Stunde glücklich dort, keine Einzige. Wenn ich daran denke – wie sehr sie litt – meine Mutter.»
    Seine Frau nickte ihm beruhigend zu.
    «Sie war so lieb, Hilda, und so geduldig. Wie sie dalag, oft mit großen Schmerzen, immer geduldig, immer ergeben. Und wenn ich an meinen Vater denke.» Sein Gesicht verdunkelte sich. «Wie elend er sie machte, wie er sie demütigte, indem er mit seinen Liebesabenteuern prahlte, wie er sie dauernd betrog und es nicht einmal zu verbergen suchte!»
    «Sie hätte es nicht auf sich nehmen, sie hätte ihn verlassen sollen», sagte Hilda.
    «Dazu war sie zu gut», wies er sie mit leisem Tadel zurecht. «Sie hielt es für ihre Pflicht, auszuharren. Außerdem – dort war ihr Zuhause. Wohin hätte sie gehen sollen?»
    «Sie hätte sich ein eigenes Leben aufbauen können.»
    «Zu jener Zeit? Ausgeschlossen!», erwiderte er gereizt. «Das verstehst du nicht. Frauen benahmen sich damals anders. Sie nahmen ihre Last auf sich, sie ertrugen vieles mit Geduld. Und dann hatte sie auf uns Rücksicht zu nehmen. Wenn sie sich von Vater hätte scheiden lassen, was wäre geschehen? Vermutlich hätte er sofort wieder geheiratet, und daraus wäre vielleicht eine zweite Familie entstanden. Damit wären unsere Interessen wahrscheinlich aufs Spiel gesetzt worden, und auch das musste Mutter damals in Erwägung ziehen.»
    Hilda blieb stumm.
    «Nein, sie tat das Richtige. Sie war eine Heilige. Sie trug ihr bitteres Los ohne Klagen – bis zum Ende.»
    «Doch wohl nicht ganz, ohne zu klagen, David», wandte Hilda ein. «Sonst könntest du nicht soviel von ihren Leiden wissen.»
    Sein Gesicht erhellte sich, und er sagte weich: «Ja, sie hat mir manches anvertraut. Weil sie wusste, wie sehr ich sie liebte. Und als sie starb…» Er unterbrach sich. Seine Hand fuhr durch sein Haar. «Hilda, es war entsetzlich! Dieses Leid! Sie war noch jung, sie hätte nicht sterben müssen. Er brachte sie um – mein Vater! Er war schuld an ihrem Tod, er hat ihr das Herz gebrochen. Damals fasste ich den Entschluss, nie wieder in seinem Haus zu wohnen. Ich lief fort – fort von allem.»
    «Das war sehr gut», stimmte sie ihm bei. «Du hast ganz Recht gehabt.»
    «Vater wollte mich in die Werke stecken. Das hätte für mich bedeutet, zu Hause leben zu müssen. Ich hätte es nicht ertragen. Ich begreife nicht, dass Alfred es aushalten kann - wie er es all die Jahre aushalten konnte.»
    «Hat er sich denn nie dagegen aufgelehnt?», fragte Hilda interessiert. «Du hast mir doch einmal erzählt, dass er eine andere Laufbahn aufgeben musste.»
    «Ja, Alfred wollte zur Armee. Das hat Vater übrigens auch arrangiert. Alfred, als Ältester, sollte in irgendein Kavallerieregiment eintreten. Harry und ich sollten in die Fabrik kommen und George eine politische Karriere einschlagen.»
    «Und dann kam doch alles anders?»
    «Ja. Harry brannte durch. Er war immer ein Wildfang. Machte Schulden und war dauernd in Schwierigkeiten. Schließlich lief er eines Tages mit ein paar hundert Pfund, die nicht ihm gehörten, davon und hinterließ nur die Mitteilung, dass ein Bürostuhl nichts für ihn sei und dass er sich jetzt die Welt anschauen wolle.»
    «Und seither habt ihr nichts mehr von ihm gehört?»
    «O doch», lachte David, «sehr oft sogar. Er telegrafierte aus allen vier Himmelsrichtungen um Geld. Hat es übrigens auch immer bekommen.»
    «Und Alfred?»
    «Vater zwang ihn, den Militärdienst aufzugeben und in die Fabrik einzutreten.»
    «War Alfred unglücklich darüber?»
    «Anfangs schon,

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