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Hering mit Heiligenschein

Hering mit Heiligenschein

Titel: Hering mit Heiligenschein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Toman
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ich meine IKEA-Family-Karte schon vor acht Jahren zerschnitten habe, dass mir sogar Pfefferkuchen zum Hals heraushängt und dass ich mein Leben so liebe, wie es ist. Wobei Letzteres gelogen ist. Ich hasse mein Leben mindestens so sehr wie Weihnachten.
    Zum Glück gibt es das Wunschwellenprinzip, denn das laute Schluchzen meiner Mutter beim Abschied klingt mir immer noch in den Ohren.
    »Katha? Ja, hallo, ich bin’s, Åsa. Ich kann dich leider nicht erreichen, aber ich bin jetzt auf dem Weg in die Stadt. Wollen wir uns bei McDonald’s am Schwedenplatz treffen und dann Cocktails trinken? Melde dich!«
    Verdammt! Ich habe mein gesamtes Adressbuch durch, und alle Freunde ziehen es vor, Heiligabend mit Mami und Papi unterm Baum zu sitzen. Sogar die coolen WG-Bewohner aus dem zweiten Stock hocken irgendwo in einem provinziellen Wohnzimmer vor einer riesigen Schüssel Keksen. Rapper Edlo, der eigentlich Eduard Lohmeyer hieß und das ganze Jahr mit sämtlichen Verwandten im Clinch liegt, habe ich gerade erwischt, wie er in andächtiger Stimmung den Sängerknaben lauscht.
    »Oh Mann, sorry mucho, Åsa, aber nicht zu Weihnachten, du weißt ja, da ist immer großes Rambazamba bei meinen ehemaligen Erziehungsberechtigten. Streng nach Muttchens Zeremoniell. Silvester vielleicht! Frohes Ehschonwissen, grüß McCountry von mir!«
    Grandios. Da habe ich in meinem ganzen Leben einen einzigen Streichtag zur Verfügung und ausgerechnet den werde ich anscheinend unspektakulär mit Chips und Chardonnay vor dem Fernseher verbringen. Wütend werfe ich das Handy auf den Beifahrersitz und hupe einen roten VW an, der mit 70 Stundenkilometern die linke Spur blockiert, als es gewaltig rumpelt. Ich klammere mich an mein Lenkrad, schaffe es, die Kontrolle über den Wagen zurückzugewinnen, blinke rechts und kann mich auf den Pannenstreifen retten. Dort atme ich mehrmals tief durch, ehe ich die Fahrertür einen Spalt öffne und einen Blick nach links hinten werfe. Auch das noch! Der Reifen ist platt, mitten auf der Südautobahn, wenige Kilometer vor der Wiener Stadtgrenze und in Sichtweite von IKEA am vierundzwanzigsten Dezember um sechzehn Uhr fünfundvierzig.
    »Sagn’s mir Ihre Kartennummer?«, bittet die genervte Telefonistin des Automobilclubs. Ich lese die Ziffern laut und deutlich vor und räuspere mich.
    »Wie ... also wie lange wird das denn ungefähr dauern?«
    »Schaun’s, Sie können sich vorstellen, dass wir zu Weihnachten nur sehr wenige Wagen im Einsatz ... – Moment, neuer Anruf, warten’s halt, bis wir uns wieder melden. Aber so anderthalb, zwei Stunden Geduld werden’s schon brauchen.«
    Was für eine Bescherung!
    ***
    Ich streife mir den linken Schuh vom Fuß und reibe die Stelle am Rist, wo eine deutliche Delle zu erkennen ist. Wie lange habe ich keine hochhackigen Schuhe mehr getragen? Wie lange ist es her, dass ich mir die Mühe des Wimpernklebens, Beinerasierens, Augenbrauenzupfens und Gesichtbemalens angetan habe? Doch seit auf dem absoluten Tiefpunkt des Tages ein riesiger silberner Mercedes hinter mir am Pannenstreifen gehalten hat, ist rein gar nichts mehr wie immer. Schuld daran ist Moritz. Also eigentlich Wilma.
    Die langen Männerbeine, die ich in meinem Seitenspiegel sah, hatten die Distanz von vielleicht zehn, fünfzehn Metern mit wenigen schwungvollen Schritten hinter sich gebracht. Mit dem eleganten Hüftknick großer Menschen, die es gewohnt sind, von kleineren Leuten umgeben zu sein, beugte er sich herunter, während ich die Scheibe einen Spalt aufkurbelte. Ein hellgrünes Augenpaar unter einer nachdenklich gerunzelten Stirn musterte mich gründlich, ehe sich die dazugehörigen herrlich vollen Lippen öffneten und die seltsamsten Worte sagten, die ich je gehört hatte:
    »Sie schickt der Himmel! Seit neun Stunden suche ich ein passables Christkind. Tragen Sie Größe achtunddreißig?«
    Sein Name ist Moritz Schellberg, und er ist der Vorstand einer Organisation, die Waisenkindern Herzenswünsche erfüllt. Jedes Jahr zu Weihnachten gibt es ein großes Fest im Wiener Hotel Imperial, zu dem Waisenhauskinder aus ganz Österreich kommen. Und dieses Jahr soll zum ersten Mal das Christkind auftreten, weil ein kleines Mädchen namens Wilma Schwaighofer als größten Wunsch angegeben hat, das Christkind persönlich kennenlernen zu wollen. All das erzählte mir Moritz auf der rasanten Fahrt in die Wiener Innenstadt.
    »Moment«, unterbrach ich seinen Redefluss, »das Kind hätte sich alles wünschen können und

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