Hermanns Bruder - wer war Albert Göring?
letzten Studentenstadt: in »Happy Valley«, einem der Standorte der Pennsylvania State University, wo ich ein Austauschjahr zugebracht habe.Die europäische Kultiviertheit lässt also vorerst auf sich warten, doch Freiburg hat auch so einiges zu bieten. Jägermeister für unter einem Euro zum Beispiel.
Um meine Forschungen zu finanzieren, habe ich einen Job im hiesigen Irish Pub angenommen. Ein echter Traumjob mit nur einem Haken: Meine Chefin teilt mich immer nur für ein paar Schichten pro Woche ein. Seitdem bin ich unfreiwilliger Vegetarier. Mein Speiseplan besteht überwiegend aus Kohlenhydraten: Kartoffelpüree, selbstgemacht oder aus der Tüte, sowie Nudeln, Nudeln und Nudeln. Atkins und seine Low-Carb-Diät hin oder her – in den letzten sechs Monaten habe ich zehn Kilo abgenommen.
Doch diese finanzielle Unzulänglichkeit macht mein Job auf anderen Gebieten mehr als wett: mit endlosen Wortgefechten und Frotzeleien, Klatschgeschichten und einer Menge Spaß – oder
craic,
wie der Ire sagt. Die Stammbelegschaft und die Springer sind eine bunte Mischung von Expats: Iren, Kiwis, Schotten, Russen, Kanadier, Briten, Spanier, Walisen, Südafrikaner, Amis und Aussies. Alle haben sie ihre persönliche Auswanderergeschichte, sind vor einem tristen Leben geflohen, vor einer Exfrau, den dominanten Eltern oder sogar einem Haftbefehl. Dieser Irish Pub mitten in Nimmerland-City ist ihr inoffizielles Botschaftsgebäude, ihre Zuflucht in der Ferne und ihre Ersatzfamilie. Hier wärmen sie sich an dem, was sie gemeinsam haben: der provisorischen Existenz, der Sprache, der Tendenz zum Alkoholismus und vor allem ihrem Sinn für Humor. In der scheinbar humorfreien germanischen Kultur ist Letzterer besonders wichtig für die geistige Gesundheit – andererseits spielen sie alle, wenn sie genug deutsches Bier intus haben, völlig verrückt.
Das scheinen jedenfalls die entsetzten Gesichter der deutschen Gäste auszudrücken. Jeden Samstagabend fängt die Stammbelegschaft nach ihren ersten zehn Pints an, aufden Tischen zu tanzen, während die Deutschen wie erstarrt dasitzen, konsterniert die verrückten Ausländer beäugen und sich an ihrem warmen Kakao, ihrer Kiba oder ihrem Bananen-Weizen festklammern. Nach sechs Monaten in diesem Land kann ich es noch immer nicht fassen, dass ganze Horden junger Männer an einem Samstagabend in den Irish Pub einfallen, um dort heiße Schokolade zu bestellen … mit Sahne!
Nicht weit von meiner Wohnung ist die Goethestraße, und passend zu ihrem Namenspatron prunkt sie mit dem verwinkelten Backsteincharme der Romantik. Ein schlankes, malerisches Häuschen reiht sich an das nächste, Türmchen und Giebel zieren die Dächer, und pastellfarbene Fassaden mit ausladenden Balkonen werden von dunkelbraunen Ecksteinen gerahmt. Fehlen nur noch die goldbeschlagenen Kutschen und ihre vornehmen Passagiere in gepuderten Perücken. Aber man sollte sich nicht täuschen lassen; keins dieser Gebäude ist wirklich alt.
Genaugenommen wurde im Zentrum von Freiburg außer dem Münster fast alles erst nach 1945 erbaut. Die Stadt hatte im Zweiten Weltkrieg zwei schwerwiegende militärische Fehler auszubaden. Zehnter Mai 1940: Dichter grauer Nebel verhüllte den Schwarzwald. Kinder tummelten sich auf den Spielplätzen, Bauern boten auf dem Münsterplatz ihre Waren feil, die Glocken der Herz-Jesu-Kirche in Stühlinger waren gerade verklungen, als ein Kruppstahlhagel auf die Umgebung des Hauptbahnhofs niederging. Kein Fliegeralarm hatte die Bevölkerung gewarnt, keine offizielle Verlautbarung, nicht einmal Gerüchte über einen bevorstehenden Angriff. Wer hätte auch alarmiert sein sollen, wenn das beruhigende Grummeln von Heinkel He 111ern ertönte und durch die Wolken das schwarzweiße Balkenkreuz auf ihren Tragflächen zu erkennen war? Doch Balkenkreuz oder nicht, an diesem trüben Frühlingstag ließen 57 Freiburger ihr Leben, darunter 22 Kinder. Warum? Wegender unterentwickelten Navigationstechnik und der schlechten Sicht. Übereifrige Piloten hatten den Führer durch einen Überraschungsangriff beeindrucken wollen und die Stadt für das französische Dijon gehalten. Manche besaßen damals die Dreistigkeit, die »verfluchten Tommys« für den Angriff verantwortlich zu machen – nicht zuletzt Propagandaminister Goebbels.
Gut vier Jahre später waren es tatsächlich die »verfluchten Tommys«, denen der zweite Fehler unterlief. In der fälschlichen Annahme, in Freiburg hielte sich eine größere Anzahl Truppen
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