Hermanns Bruder - wer war Albert Göring?
ist, dass Albert in Hersbruck zur Schule gegangen sei. Das Schreiben wirkt fast wie eine Kopie all der anderen Antworten, die ich seit Beginn meiner Forschungsbemühungen bekommen habe. Meist beginnen sie mit den Worten »lassen Sie mich Ihnen zunächst dazu gratulieren, dass Sie sich mit der Geschichte Albert Görings befassen wollen« und enden entweder auf »Leider sind die Informationen, die wir zu Ihrem Vorhaben beisteuern können, äußerst begrenzt« oder auf »Unglücklicherweise sind uns die gewünschten Informationen nicht mehr zugänglich, da unser/e [Name des Familienmitglieds] im Jahr [ Jahreszahl] verstorben ist und sein/ihr Wissen mit ins Grab genommen hat«. Ich befürchte allmählich, dass ich zwanzig Jahre zu spät gekommen bin.
Doch dann beschließe ich, die Strategie zu wechseln: Wenn die Informationen nicht zu mir kommen wollen, komme ich eben zu ihnen. Sofort rufe ich meine Chefin an und sage ihr, dass ich eine mehrwöchige Reise nach Franken plane. »Wann?«, fragt sie in ihrer typisch irischen, pragmatischen Art. – »Sobald Sie mir mehr Schichten zuteilen, damit ich das Geld dafür sparen kann.« Sie legt auf.
4. Geburt
Die Sicht reicht nie weiter als zur nächsten Straßenbiegung; jede Kurve fühlt sich an wie eine Mischung aus Achter- und Geisterbahn. Unser Weg führt höher und höher in die Hohen Tauern hinauf, und es beginnt zu dämmern. Die Zeit läuft uns davon. Allmählich werden die verstreuten Schneewehen von größeren Schneefeldern abgelöst. Bald tauchen die ersten Skifahrer auf den Loipen und Sesselliften auf. Dann öffnet sich vor uns ein grünes, mit kleinen Hütten gesprenkeltes Tal.
Es ist der dritte Tag unserer Reise in die Kindheit der Görings, und Dustin und ich folgen der B 99 durch Lundgau, zwei Autostunden südlich von Salzburg. Eben diese Straße ist vor Jahren Hermann Göring mit seinem kurvenreichen ’38er Mercedes 540 K entlanggebraust, und vor Jahrhunderten nahmen römische Kaufleute diesen Weg. Wer immer hier vorüberkam, unterbrach seine Reise an der alten Zollstation, die der Burg Mauterndorf ihren Namen verlieh. Vor uns liegt Dr. Hermann von Epensteins zweite Residenz, das Märchenschloss, in dem die Görings die Sommer ihrer Kindheit verbrachten.
Bei der Anfahrt auf Mauterndorf ist die Burg das erste Gebäude, das in Sicht kommt. Sie steht auf einer Anhöhe über dem Ort, nicht annähernd so majestätisch hoch wie Burg Veldenstein. Auch Bastionen, Wehrgänge und Schießscharten sucht man hier vergebens. Stattdessen bilden cremefarbene Fassaden reizende Kontraste mit gelbem Mauerwerk und den dunklen Dachziegeln der Türme, eine Kombination, die jetzt, im Licht der Scheinwerfer, nur umso pittoresker wirkt. Die Anlage sieht weniger wie eine Trutzburg aus, die beutegierige Raubritter abschrecken soll,als wie ein geschickt getarntes Amtsgebäude, das fahrende Händler anlockt, damit man ihnen hinterrücks saftige Zollgebühren abknöpfen kann.
Eine schmale Holzbrücke führt über den leeren, üppig zugewucherten Burggraben zu einer Informationstafel, die uns die Geschichte der Burg nahebringt. Schon die Römer hatten an dieser Stelle eine Zollstation errichtet. Im 13. Jahrhundert ließ das Salzburger Domkapitel zum Schutz der Marktgemeinde Mauterndorf die Burg errichten und baute sie im 15. Jahrhundert weiter aus. Bis 1806 blieb die Anlage im Besitz des Domkapitels und wurde dann Staatseigentum. Von da an verfiel die Burg allmählich, und von Epenstein konnte sie 1894 günstig erwerben.
Angeblich spukt es auf dieser Burg. In stürmischen Nächten, so sagt man, wenn der Wind durch die Flure pfeift, fordern die verstorbenen Kerkerinsassen kreischend und heulend Vergeltung für all die feuchtkalten, hungrigen Tage, zu denen man sie einst verdammte. So weit die Legende. Aber heute, im geheimnisvollen Licht des Vollmonds, kommt sie uns gar nicht mal unglaubwürdig vor. Auf alles gefasst, folgen wir dem ansteigenden Pfad bis zum Hintereingang der Burg. Durch das schmiedeeiserne, mit Speerspitzen verzierte Tor erhaschen wir einen Blick in den Burghof, doch damit hat es sich auch schon – im Winter gelten gesonderte Öffnungszeiten, und die sind für heute vorbei.
Ein wenig geknickt beschließen wir, in den Ort zu fahren und erst einmal etwas zu essen. Die dortige Hauptstraße verdient ihren Namen kaum: Sie ist ein Flickwerk aus Kopfsteinpflaster und Asphalt und zu schmal, als dass zwei Autos aneinander vorbeifahren könnten. Wir rumpeln zwischen den
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