Herr aller Dinge - Eschbach, A: Herr aller Dinge
die Schäden daran zu beseitigen. Denn das hieß, dass er mit einer Puppe in Händen aus dem Haus gehen musste!
Undenkbar die Schande, falls ihn jemand aus seiner Klasse damit sah. Ihm wurde ganz schlecht bei der bloßen Vorstellung.
Vielleicht war es doch besser, er warf sie einfach weg. Schließlich hatte das Mädchen sie auch weggeworfen; wahrscheinlich wollte sie sie überhaupt nicht zurückhaben. Bestimmt gefiel sie ihr gar nicht.
Hiroshi ging zurück ans Fenster, sah auf den Garten der Botschaft hinab, dachte an die lange Zeit, die er hier gewartet hatteund an die Nacht, in der sie da unten gestanden hatte, im Regen. Nein. Nein, er würde die Puppe nicht wegwerfen. Er würde sie einfach in derselben Tüte transportieren, in der er sie gefunden hatte.
Und er konnte sie ja am Haupttor abgeben! Das war nicht weit, und die Wachleute würden sich um alles Weitere kümmern.
So machte er sich auf den Weg. Dass ihm der Schweiß ausbrach, als er mit der Tüte in der Hand das Haus verließ, lag nur an der Gluthitze draußen, ganz bestimmt. Weit und breit war niemand zu sehen. Er hätte sich also gar nicht so beeilen müssen, wie er es tat, aber irgendwie war es ihm lieber, das Ding so schnell wie möglich loszuwerden. Vielleicht gab es ja einen Briefkasten, in den er es bloß hineinzuwerfen brauchte?
Gab es natürlich nicht. Eigentlich wusste er das auch, so oft, wie er an der Botschaft vorbeigegangen war. Es blieb ihm nichts anderes übrig, als am Wachhäuschen zu klingeln.
Ein Mann trat an die dicke Glasscheibe. Es war kein Japaner. Er sagte etwas, von dem Hiroshi nur mit Mühe begriff, dass es der Versuch war, ihn auf Japanisch zu fragen, was er wolle.
Hiroshi verbeugte sich höflich, wie es sich gegenüber fremden Erwachsenen gehörte. »Guten Tag, mein Herr«, sagte er. Er hob die Tüte an. »Ich habe etwas gefunden, das der Tochter des Botschafters gehört. Ich würde es gerne bei Ihnen abgeben, damit sie es zurückbekommt, wenn es Ihnen nichts ausmacht.«
Der Mann starrte ihn unwillig an. Es war offensichtlich, dass er kein Wort verstanden hatte.
»Nan desu-ka?« , fragte er, oder zumindest etwas, das so ähnlich klang wie: »Wie bitte?«
Hiroshi wiederholte seinen Spruch, worauf der Mann mitten im Satz die Hand hob, sich abwandte und nach jemandem rief. Kurz darauf kam ein anderer Wachmann, ein Japaner diesmal, mit dem er den Platz hinter der Scheibe tauschte.
»Was ist? Was willst du hier?«, fragte der Mann unfreundlich. »Das ist kein Spielplatz. Geh weiter.«
Hiroshi hielt seinem finsteren Blick stand. Er war finstere Blicke gewöhnt; in der Schule hatte er reichlich Gelegenheit zu üben, wie man ihnen standhielt. »Es geht um die Tochter des Botschafters«, sagte er.
Der Blick wurde regelrecht misstrauisch. »Was redest du da?«
»Sie hat eine Puppe verloren, und ich habe sie gefunden.« Es blieb ihm nichts anderes übrig: Er öffnete die Tüte und holte die Puppe ein Stück weit heraus, sodass der Mann sah, wovon die Rede war. Dann ließ Hiroshi sie rasch wieder verschwinden. »Ich denke, sie würde sie gerne zurückhaben.«
Der Mann verzog das Gesicht voller schlecht verheilter Aknenarben. »Was soll das heißen? Woher hast du die Puppe?«
»Gefunden.« Hiroshi streckte die Hand aus, zeigte vage in Richtung ihres Hauses. »Dort vorne.«
»Und woher willst du wissen, wem sie gehört?«
»Ich hab vom Fenster aus gesehen, wie das Mädchen sie verloren hat, das in dem Haus da wohnt.« Hiroshi deutete in Richtung der Villa des Botschafters, von der vom Haupteingang aus nur ein Teil des Daches zu sehen war.
»Das kann nicht sein. Die Tochter des ehrenwerten Herrn Botschafters verlässt das Haus nur ganz selten, und wenn, dann nimmt sie keine … Puppen mit.« Er sprach das Wort mit unüberhörbarem Widerwillen aus.
Hiroshi begriff, dass ihm das Thema ebenfalls peinlich war! Er hätte beinahe gelacht.
»Es war ein Mädchen, das ungefähr so alt ist wie ich«, sagte er stattdessen. »Eine Y ō roppajin mit langen schwarzen Haaren. Genau dasselbe Mädchen habe ich auf dem Rasen vor dem Haus gesehen.«
Der Wachmann überlegte. »Gut«, sagte er schließlich und drückte auf einen Knopf, der die eiserne Tür vor Hiroshi aufgehen ließ. »Komm herein.«
Hiroshi musste voller Unbehagen schlucken, als er durch die Tür trat. Eine Barriere teilte den Raum dahinter, und man gelangte nur durch einen Metalldetektor von dem einen in denanderen Bereich. Auch ein Durchleuchtungsgerät stand da, genau
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