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Herr der Krähen

Herr der Krähen

Titel: Herr der Krähen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ngugi wa Thiong
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biblische Thomas alles an dieser Geschichte anzweifeln, aber selbst sie können nicht erklären, wie sich das Eisengitter derart verbiegen konnte; zumal man sich erzählt, dass der Rat der Moschee nach langen internen Auseinandersetzungen den Entschluss fasste, das Fenster nicht zu reparieren, sondern es in seinem verbogenen Zustand zu belassen: als Beweis für den Sieg des Heiligen Korans über die Ränke Satans, auch wenn sich dieser in den Glanz irdischer Herrlichkeit gehüllt hatte.
    Das gesamte Programm der organisierten, spontanen Auftritte an Orten religiöser Verehrung wurde stillschweigend fallen gelassen und eine teufelsfreie, normale Ordnung bei den Andachten hielt wieder Einzug in den religiösen Kultstätten. Einige Einwohner der Stadt hängten Plakate auf: ELDARES IST TEUFELSFREIE ZONE !

10
    Das war nicht der Fall, denn bald stellte sich heraus, dass die satanischen Dämonen aus den Kirchen und Moscheen entkommen waren und durch das Land streiften. Wie ließen sich sonst die beiden erstaunlichen Berichte erklären, die kurz danach in Eldares die Runde machten? Die erste Geschichte war recht komisch, weil sie berichtete, wie der Teufel Maritha und Mariko in ihrem Haus in Santalucia besuchte, nur um einen Streit vom Zaun zu brechen.
    Die Furcht einflößendere, zweite Geschichte berichtete jenseits des Religiösen davon, dass Satan sich in den Städten und Dörfern herumtrieb, den Leuten die Herzen ausriss und ihre Leiber als leblose Hüllen an Straßenrändern und Müllhalden zurückließ.
    Es gab allerdings auch einige Leute, die behaupteten, dass beide Geschichten – die von Satan, der einen Streit mit Maritha und Mariko heraufbeschwor, und die von Satan, der den Menschen die Herzen aus dem Leibe riss – zusammenhingen und deutlich machten, dass Satan zeigen wolle, er habe ein paar Schlachten verloren, aber noch längst nicht den Krieg. Warum jedoch sollte er dazu einen Streit mit einem älteren Ehepaar anfangen?

11
    Das Ehepaar Maritha und Mariko war in ganz Santalucia bekannt, weil sie sich nie trennten, gemeinsam zum Markt gingen und gemeinsam Totenwachen, Beerdigungen und Hochzeiten besuchten. Entdeckte man einen von beiden einmal allein, wussten die Leute – und sie irrten sich selten – dass der andere nicht weit war.
    Manchmal folgte ihnen ihre Katze, die abgesehen von einem weißen Fleck mitten auf der Stirn vollkommen schwarz war. Und als sie einmal mit in die Kirche ging, dichteten die Kinder sofort ein bekanntes Lied um:
    Mari hat ne kleine Katz,
    kleine Katz, kleine Katz,
    Mari hat ne kleine Katz,
    das Fell so schwarz wie Ruß.

    Und wo auch immer Mari war,
    Mari war, Mari war,
    und wo auch immer Mari war,
    da war die Katz nicht fern.

    Sie ging mit in die Kirch’ einmal …
    Maritha und Mariko waren gläubige Gemeindemitglieder von All Saints. Sie wischten auf den Bankreihen Staub, putzten die Fenster und ordneten die Blumen. Als die Gemeinde beschloss, die Obdachlosen zu speisen und ihnen freitags, samstags und sonntags im Kellergeschoss Unterschlupf zu gewähren, meldeten sich Maritha und Mariko freiwillig, um für die Not leidenden Landstreicher zu sorgen. Sie fütterten sogar die Tauben und andere Vögel, die auf dem Dach der Kathedrale nisteten.
    Maritha und Mariko waren wie Zwillinge. Häufig kam es vor, dass der eine einen Satz vollendete, den der andere begonnen hatte. Beide waren über sechzig, ihre Körper hatten die Jahrzehnte beachtenswert gut überstanden, und ihre Kinder, die inzwischen junge Männer und Frauen waren, hatten sichere Arbeitsstellen. Alles in allem waren Maritha und Mariko ohne jeden Makel und schienen ein Beispiel für eine erfüllte Ehe und ein gutes Familienleben zu sein. Das erklärt, warum die gesamte Kirchengemeinde so schockiert war, als Maritha und Mariko eines Sonntags, nur wenige Monate nach dem Ereignis mit dem Herrscher und dem geborstenen Glas, vor die Gemeinde traten und beichteten, dass sie eine unwiderstehliche Lust nach dem Fleische anderer plage. Und so, wie sie alles gemeinsam taten, erzählten sie ihre Geschichte, als läsen sie aus demselben Buch vor.
    „Sogar durch die Straßen zu gehen, wird eine regelrechte Folter“, gestand Mariko.
    „Nicht eine einzige Nacht ist vergangen, in der wir nicht dafür gebetet haben, dass diese schreckliche Last von uns genommen wird, aber unsere Gebete sind noch nicht erhört worden“, fügte Maritha hinzu.
    „Unsere Körper verzehren sich nicht mehr nacheinander, aber die anderer Menschen

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