Die Hueterin der Geheimnisse
Die Quelle der Geheimnisse
»Der Wunsch, die Zukunft zu kennen, nagt an unseren Knochen«, sagte Safred, die Quelle der Geheimnisse. »Jedenfalls sagte mir das ein Steinedeuter.«
Ihr Onkel Cael grunzte und fuhr damit fort, die Karotten in Scheiben zu schneiden. Karotten, Runkelrüben, Zwiebeln und Knoblauch, Zitronensaft und Öl. Einfach köstlich.
»Willst du das braten?«, fragte Safred voller Hoffnung. Sie mochte keinen Salat, Cael hingegen liebte ihn.
Cael grinste sie an. »Der Wunsch, die Zukunft zu kennen, nagt an unseren Knochen.«
Sie lachte. Dann stieß sie einen Seufzer aus.
»Sie kommen. Sag den Leuten Bescheid. Das Mädchen ist schwer verletzt.« Sie legte eine Pause ein. »Sie schaffen es vielleicht nicht, sie rechtzeitig herzubringen. Es wird knapp werden.«
»Verausgabe dich nicht.«
»Wäre es dir lieber, wenn ich sie sterben ließe? Außerdem, du wirst sie mögen, diese Bramble. Sie ist ein Querkopf.«
Er schnitt eine Grimasse, trat jedoch auf die Straße hinaus, um die Nachricht weiterzugeben, wie sie ihn angewiesen hatte. Die Quelle der Geheimnisse blieb noch eine Weile sitzen. Sie überlegte, ob sie die Kraft aufbringen würde, die wiedergeborene Jagdbeute davor zu bewahren, ein zweites Mal die Grenze zwischen Leben und Tod zu überschreiten.
Die Götter äußerten sich nicht zu dieser Angelegenheit, obwohl sie sie, was sie nur selten tat, befragt hatte. Prophezeiungen waren ja schön und gut, doch manchmal war es so, dass die Zukunft sich an einem ganz bestimmten Zeitpunkt entschied. Dann schlug sie die eine oder die andere Richtung ein oder lag in den Händen eines besonderen Menschen. Dies war nun so ein Zeitpunkt und Bramble so ein besonderer Mensch. Falls die wiedergeborene Jagdbeute überlebte … wenn das Mädchen namens Bramble überlebte … was war wichtiger? Bestimmt wussten dies nicht einmal die Götter. Was am folgenden Tag geschehen würde, würde entscheidend sein für die Zukunft der Domänen, vielleicht für die ganze Welt, und Safred sah es so wenig voraus wie … wie Cael.
»Er nagt wie eine Ratte«, sagte sie und lachte, um nicht weinen zu müssen.
Ash
»Ash! Fang sie auf!«, schrie Martine.
Ash reagierte instinktiv und galoppierte zu Brambles Pferd, während diese mit flackernden Lidern schwankte und seitlich aus dem Sattel glitt. Ungeschickt bekam er sie noch zu fassen, doch ihre Schulter prallte gegen die seine, und er wurde fast aus dem Sattel geworfen. Er fand wieder Halt, als er die Beine fest um den Leib seines Pferdes presste. Doch im Nachhinein erwies sich das als Fehler, denn das Pferd - wie hieß es noch gleich? Cam? - verstand dies als Befehl, sich schneller zu bewegen. Der Abstand zwischen Cam und Brambles Pferd wurde größer, und Bramble hing nur noch halb im Sattel, während Ash sich in den Zügeln ihres Pferdes verhedderte hatte. Dazu kam noch, dass er sie nicht nur halten musste, sondern sie sich auch noch unbewusst dagegen wehrte, vom Pferd gezogen zu werden. Ihre Haut fühlte sich so heiß an, als würde er eine Tasse frischgebrühten Tee berühren.
Aufgeregt stieß Brambles Pferd den Atem durch die Nüstern aus und blieb abrupt stehen. Ashs Pferd tat es ihm daraufhin nach. Sie standen immer noch in einem ungünstigen Winkel nebeneinander, aber Ash konnte Bramble nun wieder in den Sattel heben. Er streifte ihren Arm, als er sich bemühte, sie wieder ins Gleichgewicht zu bringen, woraufhin sie einen Laut von sich gab, halb Stöhnen, halb Schreien, und vollends das Bewusstsein verlor.
Es gelang ihm, ihr einen Stoß zu versetzen, sodass sie auf den Hals ihres Pferdes vornüberfiel. Der Arm, den die Wölfe zerfleischt hatten, sank herab und hing nach unten, und Ash konnte nun zum ersten Mal erkennen, wie stark er geschwollen war. Der Ärmel ihres Hemds schnitt ihr, obwohl hochgekrempelt, tief in das aufgedunsene rote Fleisch ein.
Die von einer Wolfsklaue verursachte Wunde verströmte den unverkennbaren süßlichen Geruch nach Verwesung.
Auch Martine nahm ihn wahr. »Nur die Quelle der Geheimnisse ist noch in der Lage, den Arm zu retten«, sagte sie. »Wir müssen schneller reiten.«
Sie verwendeten ein Unterhemd von Martine dazu, Bramble an den Hals ihres Pferdes zu binden. Ash war nervös, während er dies tat, denn Trine hatte bereits mehrmals versucht, ihn zu beißen. Dieses Mal jedoch wartete sie geduldig und drehte nur gelegentlich den Kopf, um ihre Nase an Brambles unverletzte Schulter zu drücken.
Dann ritten sie wieder los.
Kurz vor
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