Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Herr der Krähen

Herr der Krähen

Titel: Herr der Krähen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ngugi wa Thiong
Vom Netzwerk:
gehalten hatte, auf den Altar legte, geriet der Altar ins Wanken und die Bibel fiel zu Boden. Doch statt sie aufzuheben, verschwand er in der Sakristei. Noch bevor sich alle darüber wundern konnten, was ihn dazu veranlasste, die Heilige Schrift und die Kirchgemeinde im Stich zu lassen, tauchte er mit einer sehr großen Bibel in der rechten Hand und einem riesigen Kreuz in der linken wieder auf. Beide Hände streckte er dem Herrscher entgegen. Die Lippen des Bischofs bewegten sich, als murmelte er eine Beschwörungsformel, aber niemand konnte seine Worte verstehen, weshalb nachher auch keiner in der Lage war, sie wiederzugeben.
    Dann hörte die versammelte Kirchgemeinde, wie etwas durch ein Fenster brach und das Glas in sieben Scherben bersten ließ. Die bebenden Wände und die tanzenden Kreuze standen plötzlich wieder still und eine friedliche Stille senkte sich über die Kathedrale. Bischof Tireless Kanogori, der jetzt mit der Andacht fortfuhr, als hätte sich nichts Unvorhergesehenes ereignet, unterstrich mit dem Klang seiner Stimme die Stille umso eindrucksvoller.
    In den Häusern erwachten die Fernsehgeräte zu neuem Leben. Wer bereits vor seinem Bildschirm saß und wer seinen Fernseher erst in diesem Augenblick einschaltete, erlebte Bischof Kanogori, wie er gerade seine Predigt begann. In der letztgenannten Gruppe machten sich einige Stimmen über die Geschichten lustig, die sich um den Eselsritt, die Palmzweige, die heiseren Hosiannas und den langen Marsch auf die Hügelkuppe rankten.
    Die Schilderer des unheimlichen Ereignisses aber ließen sich nicht beirren und gingen sogar so weit, steif und fest zu behaupten, die All Saints Cathedral sei nicht das einzige Gotteshaus, in dem sich ein solches Schauspiel ereignete. Man erzählt sich, der Herrscher habe später noch weitere Gottesdienste in anderen Kirchen besucht, in denen sich Ähnliches zutrug. In allen Fällen zersprang zumindest eine Fensterscheibe in sieben Scherben, durch welche Kraft auch immer die mit Kreuz und Bibel bewehrten Priester das Unheil austrieben. Deshalb, so behaupten sie, verkündete der Herrscher Aburĩrias plötzlich ohne weitere Erklärung, dass er nun auch zum Islam Kontakt aufnehmen wolle, um seinen Glauben an die Gleichheit aller Religionen unter Beweis zu stellen. Aber aus Bescheidenheit wie aus Rücksichtnahme gegenüber dem islamischen Bilderverbot sei es Kameras nicht erlaubt, ihn dabei zu begleiten.
    Seine Überlegung hierbei war, zunächst Auftritte in islamischen Moscheen – sunnitischen, schiitischen sowie wahabitischen – zu organisieren; anschließend indische Tempel zu besuchen – hinduistische, buddhistische oder jainistische; danach dann die Gurdwaras der Sikhs und schließlich die Synagogen der Juden, und darauf zu hoffen, dass diese wohlüberlegt spontanen Auftritte das Bild der Ereignisse in der All Saints Cathedral und anderen christlichen Kirchen auslöschen würden.
    Für seinen ersten Besuch in einem islamischen Heiligtum wies er seine Berater an, eine Moschee ausfindig zu machen, die keine Glasfenster hatte. Nachdem sie ganz Eldares abgesucht hatten, fanden sie schließlich eine Moschee, die eine schöne Kuppel und zierliche Minarette besaß und, was noch wichtiger war, Fenster mit hölzernen Läden und Eisengittern.
    Dort begab sich ein noch erschütternderes Ereignis, aber weil es nicht auf Film festgehalten wurde, müssen wir wieder einmal dem Hörensagen vertrauen, wonach der Imam, der an diesem Tag das Gebet sprach, beim Eintritt des Herrschers sofort erkannte, dass etwas nicht in Ordnung war, und schleunigst den Koran in die Luft reckte und auf Arabisch rief:
    Allahu akbar, Allahu akbar
    Asch-hadu al-la Ilaha il-Allah
    Asch-hadu al-la Ilaha il-Allah
    Asch-hadu anna Muhammadar Rasulu-Allah
    Asch-hadu anna Muhammadar Rasulu-Allah
    Hayya ’alas-Salah
    Hayya ’alal-Falah
    Allahu akbar, Allahu akbar
    La Ilaha il-Allah
    Die dabei waren, sagen, sie spürten einen Windstoß durch die Luft wirbeln und im nächsten Augenblick hörten sie das Eisengitter vor einem der Fenster knirschen. Dann sahen sie, wie sich ein paar Gitterstäbe nach außen wölbten, als würde sich jemand dagegen werfen, um sich zu befreien. Koran und Rosenkranz gegen das Fenster schwingend, rief der Imam etwas, das sich wie „Satan“ anhörte und – siehe da – das Knirschen hörte sofort auf, und das einzige Geräusch, das noch zu vernehmen war, war der Ruf des Imam, Allahu akbar . Allerdings gibt es einige Leute, die wie der

Weitere Kostenlose Bücher