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Herr der Krähen

Herr der Krähen

Titel: Herr der Krähen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ngugi wa Thiong
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hatte überhaupt keine Arbeit gesucht, sondern nach einer Möglichkeit, seiner Bosheit, die in Neid gründete, freien Lauf zu lassen. Und ich, ein Unschuldiger, bin ihm in die Falle gegangen und habe ihm einen Grund geliefert, Vergeltung zu üben. Er hat sogar mein Geld gestohlen.
    „Ich habe Ihnen drei Säcke mit Geld gegeben“, sagte Tajirika und hoffte, dass ihn das besänftigte und seinen Zorn milderte.
    „Dein Geld riecht nach dem Bösen. Du kannst es wiederhaben. Ich habe es im Grasland vergraben“, antwortete der Herr der Krähen und beschrieb zu Tajirikas ungläubigem Staunen die genaue Stelle.
    War er erneut von seinen Feinden ausgeschickt worden? War er um Mitternacht in seine Zelle gebracht worden, um ihn mit Geschichten und der Lüge zu verführen, Geld vergraben zu haben? Er konnte sich nur einen einzigen Feind vorstellen, der dazu den Einfluss und Gelegenheit hatte.
    Sikiokuus Worte verfolgten ihn: „Denken Sie genau nach …“, so seine Worte. Und was passiert als Nächstes? Der Herr der Krähen taucht auf unerklärliche Weise in der Zelle auf. Es war der Zauberer, der als Erster seinen Wunsch erkannt hatte, Weißer zu sein. Und jetzt hatte Sikiokuu den Zauberer geschickt, um ihn ein für alle Mal fertigzumachen. Sikiokuu hatte mit Tajirika gespielt, hatte sogar vorhergesagt, auf seine dubiose Art, was geschehen würde. Und mit Sicherheit würde der Zauberer ihm zuallererst die Finger abschneiden. Wahrscheinlich hätte er mich schon in der Nacht umgebracht, wenn ich nicht wach geblieben wäre.
    In Zeitlupe kam der Tod in Menschengestalt auf ihn zu, während er weiter bewegungsunfähig in seiner Ecke kauerte. In diesem Augenblick entschied Tajirika, keine weitere Nacht unter demselben Dach in der mörderischen Gegenwart dieses in Indien geschulten Hexenmeisters zu verbringen, der bereits sein Büro und sein Haus mit einem Fluch beladen hatte und ein Problem nach dem anderen auf ihn niedergehen ließ.
    Seine Strategie war, dem Tod zu entwischen, seine Taktik würde sein, den Herrn der Krähen in ein Gespräch zu verwickeln, bis er sich einen Plan zurechtgelegt hat. Die Klarheit von Strategie und Taktik beruhigten ihn ein wenig trotz des Durcheinanders von Gedanken und Bildern in seinem Kopf, und die Worte, die er jetzt hervorbrachte, ließen keinerlei Furcht oder Angst erkennen.
    „Ich habe es nicht böse gemeint. Ich versichere Ihnen, dieser Test war nichts weiter als ein Scherz unter Männern. Ehrlich, ich hatte geglaubt, Sie würden mit mir darüber lachen. Ich wollte Ihnen die Last, keinen Job zu bekommen, erträglicher machen.“
    „Glaubst du nicht, du solltest dir das besser vorher überlegen? Derartiger Humor kann tödliche Folgen haben.“
    Tödliche Folgen? Jetzt hat er sein wahres Gesicht gezeigt. Zaubermacht und Staatsmacht haben sich gegen mich verbündet. Was für eine gewaltige Verbindung! Seit tausend Jahren spricht dieser Zauberer schon mit den Toten. Er hat alle Handbücher der Hexerei gelesen, aus dem alten Indien, dem antiken Griechenland bis in die Gegenwart. Ob ich nun im Gefängnis bin oder nicht, vor dem allwissenden Auge, der alles durchdringenden Macht des Herrn der Krähen, gibt es kein Entrinnen. Ich stecke furchtbar in der Klemme.
    Seine Lage war hoffnungslos. Er war niedergeschlagen. Dann jedoch kam ein Lichtstrahl: Wenn der Herr der Krähen wirklich alles sehen konnte, was er zu sehen wünschte, unabhängig davon, wo er sich gerade befand, warum hatte sich Sikiokuu die Mühe gemacht, ihn ins Gefängnis zu schicken? Der Herr der Krähen brauchte Tajirika nur in seinem Spiegel einzufangen, die Schatten auszukratzen und er war erledigt. Sikiokuu will nicht, dass ich jetzt schon sterbe, dachte Tajirika und schöpfte neue Hoffnung. Sikiokuu will krampfhaft einen Handel mit mir schließen. Er will mich lebend, wenn ich mich aber weigere zu tun, was er will, oder es nicht liefern kann … Aber warum sollte ich mich dem, was er verlangt, verweigern, wo ich noch nicht einmal weiß, was er will?
    Tajirika glaubte tatsächlich, einen Lichtstrahl am Horizont entdeckt zu haben. In Sikiokuus Händen war er sicherer als unter dem durchdringenden Blick des Herrn der Krähen. Sikiokuu war mehr nach seinem Geschmack; sie sprachen dieselbe Sprache, die Sprache von Täuschung und Winkelzügen. Er, Tajirika, würde sich beugen, er würde knien, kriechen, alles tun, um Sikiokuus Gnade zu erlangen. Außerdem war es leichter, Sikiokuu zu betrügen als den Herrn der Krähen. Tajirika würde

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