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Herr der Krähen

Herr der Krähen

Titel: Herr der Krähen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ngugi wa Thiong
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Geschichten erfinden und die Schuld am Ausbruch des Schlangenwahns anderen zuschieben. Warum nicht seiner Frau? Ja, er würde alles Vinjinia in die Schuhe schieben. Das ist genial, dachte er und fühlte sich großartig. Auf diese Art könnte er drei Fliegen mit einer Klappe schlagen: Sich an Vinjinia rächen, weil sie sich mit den tanzenden Frauen gezeigt und es sich ohne Zweifel hatte gut gehen lassen, während er verschwunden war; sich vor dem drohenden Unheil retten, das der Herr der Krähen im Schilde führte; und vor allen Dingen verhindern, seine Daumen und sein Leben zu verlieren.
    Bald hatten sich alle Mutmaßungen, Sikiokuu würde eine Gefahr für ihn darstellen, in Luft aufgelöst. Der Herr der Krähen war die unmittelbarste Bedrohung für seine Seele und seinen Körper und Sikiokuu der Einzige, der ihn retten konnte. Tajirika konnte es sich nicht leisten, die Nacht abzuwarten. Er musste sofort aus dem Bannkreis der Hexerei fliehen und Schutz beim Staat suchen. Aber was sollte er unternehmen, ohne sich den Zorn seines gerissenen Racheengels zuzuziehen? Er spürte, dass er nichts tun konnte, saß völlig verzweifelt da und wartete auf den Tod. Er bedauerte es, Vinjinia nicht gründlich durchprügeln zu können, und während er daran dachte, fiel ihm ein, dass sie regelmäßig in die Kirche ging und betete, und er begann, selbst Gebete zu murmeln, die ihn vor dem Tod retten sollten. Seine Gebete wurden fast unmittelbar erhört, jedoch auf eine Weise, die er sich so nicht hatte vorstellen können oder gar erwartet hätte.
    Genau in diesem Moment öffneten zwei Wärter die Tür. Sie kamen, um den Toilettenkübel zu holen, den sie seit sieben Tagen nicht geleert hatten. Tajirika handelte mit dem rücksichtslosen Instinkt des Selbsterhaltungstriebs. Bevor die Wärter zum Kübel gelangen konnten, war Tajirika bereits aus seiner Ecke zum Kübel gesprungen und hatte ihn gepackt. Er drohte, sie mit sieben Tagen Scheiße und Urin zu übergießen, wenn sie sich auch nur einen Zentimeter bewegten. Sie blieben wie angenagelt stehen, und Tajirika wankte um sie herum, bis er sich zwischen ihnen und der Tür befand.
    Auch der Herr der Krähen war überrascht und dachte, Tajirika müsse verrückt geworden sein. In der Tat, Tajirika hatte während ihres Gespräches alles andere als kluge Dinge von sich gegeben. Die wochenlange Einzelhaft und die Folter haben ihren Tribut gefordert, dachte er. Aber als Tajirika zu sprechen begann und dem Herrn der Krähen klar wurde, was sich abspielte, war ihm nach Lachen zumute. Doch er beherrschte sich, denn es war besser, unbeteiligter Beobachter der Vorgänge zu bleiben.
    „Hört her“, rief Tajirika den Aufsehern zu. „Bringt mich von diesem Hexenmeister weg. Bringt mich zu Silver Sikiokuu, dem Staatsminister im Büro des Herrschers. Legt mir Handschellen an. Oder gebt sie mir, und ich lege sie mir selbst an, damit ihr seht, dass ich nicht versuche, aus gesetzmäßigem Arrest zu fliehen. Wenn ihr nicht macht, was ich euch sage, oder ich das geringste Zeichen von Widerstand entdecke, gieße ich euch den gesamten Inhalt dieses Kübels über die Köpfe. Ich habe in den letzten drei Tagen Blut geschissen und gepisst. Ich habe das tödliche Virus.“
    Durch die Erwähnung des verheerenden Virus rochen die Wärter plötzlich den eigenen Tod und flehten Tajirika an. Sie versicherten, nichts gegen ihn zu haben, sie würden ihn völlig verstehen und seine Qual nachempfinden, auch sie würden nie im Traum darauf verfallen, mit einem Hexenmeister unter einem Dach zu schlafen. Er sehe also, sie und er stünden auf derselben Seite und sie würden ihn hinbringen, wohin auch immer er wolle. Sie warfen ihm Handschellen zu, und er legte sie sich um die Handgelenke. Sie boten ihm an, den Kübel zu tragen, aber er lehnte ab. Es sei seine eigene Scheiße, seine Waffe, sagte er zur Erleichterung der Aufseher, die froh waren, dass ihnen der Kontakt mit seiner tödlichen, virusverseuchten Waffe erspart blieb, es aber gleichzeitig mit der Angst zu tun bekamen, weil sie diesem verrückt gewordenen Häftling gnadenlos ausgeliefert waren. Von ihnen eskortiert, befahl er ihnen, die Tür doppelt hinter sich abzuschließen. Er wollte nicht, dass der Herr der Krähen entkam.
    Der hatte sich den Wahnsinn mit einer Mischung aus Mitleid und Trauer angesehen. Gleichzeitig hatte er das Gefühl gehabt, loslachen zu müssen. Sein Geständnis hatte Tajirika dazu gebracht, seine eigene Scheiße zu schleppen. Zumindest für

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