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Herr der Krähen

Herr der Krähen

Titel: Herr der Krähen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ngugi wa Thiong
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zu tun, schweiften Nyawĩras Gedanken ab, und sie begann, tiefer über die Frau vor ihr nachzudenken. Irgendwie versetzte diese Frau sie immer wieder in Erstaunen, und wenn es sich nicht um eine Situation voller Schmerz und Leid gehandelt hätte, wäre Nyawĩra vielleicht versucht gewesen, zumindest innerlich über Vinjinias Metamorphose zu lachen.
    Ist das nicht dieselbe Frau, die in Hinblick auf Körper und Sexualität so prüde daherkam? Ist das nicht dieselbe Frau, die sich gegenüber aburĩrischer Politik taub stellte?, fragte sich Nyawĩra, als sie an die Auseinandersetzungen und die unterschiedlichen Auffassungen dachte, die es während ihrer gemeinsamen Tage im Büro der Eldares Modern Construction and Real Estate gegeben hatte. Für Vinjinia war in Aburĩria alles in Ordnung. Aber dennoch, hatte sie nicht gerade eine überaus treffende Feststellung zur Rechtsprechung im Aburĩria dieses Herrschers gemacht? Oder über Gewalt und geschlechtsspezifische Ungleichheit zu Hause? Sie hatte sich sogar kritisch zur Religion und deren Tendenz geäußert, die häusliche Gewalt gegen Frauen zu vertuschen. Die Wahrnehmung, dass einem Unrecht widerfährt, ist der erste Schritt für eigenes politisches Engagement, dachte Nyawĩra.
    Während sie beiläufig diese Gedanken hin und her wälzte, kam ihr plötzlich eine Idee. Es war keine neue Idee – sie hatte schon früher darüber nachgedacht und sogar erwogen, sie der Führung ihrer Bewegung zur Diskussion und zur eventuellen Umsetzung in ihrer Strategie vorzulegen, hatte es aber bisher nicht getan. Warum sollte sie diese Idee jetzt nicht an Vinjinia erproben?
    „Geh nach Hause“, forderte sie Vinjinia sanft auf. „Überlass die Angelegenheit dem Herrn der Krähen. Er wird sich mit einer Abordnung von Ältesten zusammensetzen, weise Älteste, mit großer Urteilskraft und in magische Roben gekleidet. Was dich betrifft, nimm folgende Worte mit nach Hause: Der mächtigste Zauber kommt vom Herzen. Die Frauen müssen tief in sich gehen und den Entschluss fassen, es nicht länger zuzulassen, von ihren Männern und Partnern geschlagen zu werden. Sobald das geschieht, werden die Prügel aufhören und in den Häusern wird das gemeinsame Gespräch das Tor zu Liebe und gegenseitigem Verständnis sein. Verschließt man seine Gedanken in sich, so führt das zu keiner Lösung. Das Schweigen der Frauen angesichts männlicher Gewalt ist die Amme weiterer Willkür. Wenn Tajirika, nachdem die Abordnung bei ihm war, weiterhin sich und seine Fäuste an dir austobt, komm wieder her. Aber ich will dir eine Frage stellen, die ich eigentlich gleich am Anfang hätte stellen sollen. Bist du entschlossen, dich nie mehr verprügeln zu lassen?“
    „Ja.“
    „Dann geh heim. Die weisen Ältesten sind auf dem Weg.“
    „Ich hoffe, sie werden meinem Mann nicht sagen, dass ich hier gewesen bin.“
    „Das sollte dich nicht sorgen. Es gibt keinen Heiler, der sein Gewicht in Kräutern wert ist, der dem Wind anvertraut, was im Frieden und in der Verschwiegenheit des Schreines geschehen ist.“

3
    Das Schweigen, das von Tajirikas Heim Besitz ergriffen hatte, war dichter als der dichteste Busch in der dunkelsten Nacht. Gacĩgua und Gacirũ, ihre Jüngsten, waren auf der Internatsschule. Tagsüber waren die Hausangestellten da; doch nachts waren Mann und Frau sich selbst überlassen. Tajirika hatte meist keine Lust, gleich nach der Arbeit nach Hause zu fahren und ging noch in eine Bar.
    Eines Abends hatte er genug von dem Schnaps, der seine Einsamkeit nicht immer betäuben konnte, und er beschloss, auf eine Tasse Kaffee ins Mars Café zu gehen.
    Seit er seine Frau verprügelt hatte, fühlte sich Tajirika besser, doch sobald ihm die Bilder mit den tanzenden Frauen vor Augen kamen und er sich vorstellte, welchem Leben Vinjinia gefrönt hatte, während er im Gefängnis saß, kochte noch immer plötzliche Wut in ihm hoch. Ironischerweise lenkten ihn diese Wutanfälle und die intensive Beschäftigung mit Vinjinias Vergehen davon ab, ständig darüber nachzudenken, was ihm während seiner Inhaftierung widerfahren war. Wie sollte er sich auch mit einem Bild von sich selbst befassen, das ihn mit einem zwischen den Beinen baumelnden Kübel voll Scheiße zeigte? Das war kein schöner Anblick, nicht einmal für ihn. Sich mit Vinjinias Schmutz zu beschäftigen, bewirkte, dass er sich sauberer vorkam.
    Die einzige Erinnerung, die ihn enorm befriedigte, war, den Herrn der Krähen in den Händen der Polizei zu wissen

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