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Herr der Krähen

Herr der Krähen

Titel: Herr der Krähen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ngugi wa Thiong
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ohne eine Waffenruhe. Die Ehe ist ein Gefängnis. Lebenslange Haft, umso mehr, wenn ein Paar Kinder hat. Sogar unsere Religionen billigen die lebenslange Haft für die Frau.“
    „Die Zeit heute ist anders, als sie früher war“, sagte Nyawĩra. „Heute kann man dieses Gefängnis verlassen, wenn man will. Sogar in der Vergangenheit konnten die Frauen immer zu ihren Eltern zurück oder sich entschließen, allein zu leben. Und es gab sogar Frauen, die andere Frauen heirateten.“
    „Warum sollte ich weg und ein Zuhause verlassen, das wir gemeinsam aufgebaut haben?“, fragte Vinjinia.
    „Ich dränge dich nicht, dein Heim zu zerstören.“
    „Da gibt es kein Heim mehr zu zerstören. Das ist längst passiert, mit dem, was er getan hat.“
    „Was hat er getan?“, fragte Nyawĩra. „Was hat er von dir verlangt? Sex?“
    Vinjinia überlegte, war sich nicht sicher, wo sie beginnen sollte. Sollte sie die beschämenden Einzelheiten weglassen?
    „Wenn du meine Hilfe willst, musst du mir alles erzählen“, sagte Nyawĩra, als hätte sie die Gedanken ihrer Klientin gelesen. „Auch wenn er versucht hat, dich zu vergewaltigen. Vergewaltigung bleibt Vergewaltigung, auch wenn sie ein Freund oder Ehemann begeht.“
    Vinjinia spürte die Last von sich genommen, ihre Geschichte verändern zu müssen. Sie nannte sogar ihren Namen und erinnerte den Zauberer daran, dass sie schon bei zwei früheren Anlässen im Schrein gewesen sei. Ihre Bitten seien erfüllt worden, und deshalb sei sie nun ein drittes Mal gekommen. Sie erzählte ohne Einschränkung alles, was sich seit Tajirikas Rückkehr ereignet hatte.
    „Ich weiß immer noch nicht, warum er so wütend auf mich ist oder was er von mir erwartet.“
    „Frau“, erwiderte Nyawĩra behutsam, „du hast einen Mann, der glaubt, es sei sein natürliches Recht, seine Frau zu schlagen und zu disziplinieren. Leider ist er damit nicht allein. Gewalt gegen Frauen steht in vielen Häusern auf der Tagesordnung – in reichen, armen, weißen, schwarzen oder religiösen. Heute misst ein Mann seine Männlichkeit, indem er seine Frau misshandelt. Eine Frau schluckt die Beleidigungen mit saurem Schweigen, statt sich der Verletzung ihres Ichs zu widersetzen. Dadurch wird ein geheiligtes Ich bald zur furchtsamen Sklavin, die ein Leben voller Wunden und Narben führt. Du hast mir deine Geschichte erzählt, und ich habe zugehört. Sag, was führt dich nun zum Schrein? Wolltest du mir die Geschichte erzählen oder Kräuter für deine Wunden bekommen?“
    „Die Wunden in meinem Herzen werden niemals heilen, solange der Mann, den ich meinen Ehemann nenne, am Leben ist.“
    „Was willst du?“
    „Ich will, dass er stirbt. Dass er stirbt und unter die Erde kommt. Gib mir Gift für sein Essen. Gib mir Gift, damit ich ihn in die Hölle schicken kann. Oder noch besser: Fang seinen Schatten im Spiegel und kratz ihn aus.“
    Ihre Heftigkeit erschreckte Nyawĩra. Sie hätte niemals geglaubt, dass Vinjinias Herz derartiges Gift beherbergen könnte.
    „Ich vergifte das Böse nur, um das Gute zu erreichen.“
    „Was kann es Böseres geben als das, was er mir mit seinen Fäusten angetan hat?“
    „Willst du, dass sein Leben endet oder seine Gewalttätigkeit?“
    „Seine Gewalttätigkeit kann nur durch den Tod enden, seinen oder meinen.“
    „Wie wäre es, ihm erst einmal das Böse seiner Taten vor Augen zu führen?“
    „Tajirika ist gar nicht in der Lage, Fehler in seinem Verhalten zu erkennen. Er sieht immer den Splitter im Auge der Frau, aber den Balken im eigenen sieht er nicht.“
    „Nicht einmal, wenn sich eine Abordnung der Weisen mit ihm befassen würde?“
    „Das würde ihn nur noch mehr in Rage bringen und, sobald sie wieder weg sind, noch gewalttätiger werden lassen.“
    „Und wenn man ihn vor Gericht brächte?“
    „Vor ein aburĩrisches Gericht? Wie viele Frauen haben Sie als Richterin oder Schöffin auf den Bänken des Rechts gesehen? Außerdem endet die Gerechtigkeit in Aburĩria in den Taschen des Meistbietenden. Glauben Sie, ich könnte höher bieten als mein Mann? Nein, ich bin gar nicht in der Lage, die Gerechtigkeit zu schmieren.“
    „Die Gerechtigkeit zu schmieren?“, wiederholte Nyawĩra den letzten Satz laut. Aber innerlich überlegte sie, was sie gegen Vinjinias Notlage unternehmen könnte, ohne ihr irgendwelche giftigen Kräuter mitzugeben, was sie niemals tun würde, und ohne ihre Hoffnung abzutöten, die die Grundlage aller Heilkunst war. Unfähig etwas zu sagen oder

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