Herr der Krähen
aufrecht zu halten, und einige nahmen mit übereinandergeschlagenen Beinen die Haltung von Buddhisten ein. Andere entschieden sich für die kauernde Haltung eines betenden Muslims, berührten mit der Stirn den Fußboden und hoben nur noch ab und zu den Kopf. Einige wenige, die nicht mehr in der Lage waren, ihren Kopf zu heben, taten so, als huldigten sie ununterbrochen dem Herrscher, indem sie Kopf und Hände auf den Boden legten und die Hintern in die Höhe reckten. Zu guter Letzt verharrte jeder in irgendeiner Stellung, die seinen Beinen, dem Hals, den Armen und auch den Lippen etwas Ruhe gönnte.
Der Biograph lag der Länge nach auf dem Boden und versuchte, alles aufzuschreiben, was der Herrscher sagte; schließlich legte er den Kopf auf eine Seite des Buches und schaffte es irgendwie, weiter Notizen für das Buch des Lebens niederzukritzeln.
Zur siebten Stunde des siebten Tages waren nur noch die Sicherheitsleute auf den Beinen, die die Wand benutzten, um sich aufrecht zu halten. Von den Zivilisten hielt Machokali am längsten durch, aber auch er spürte, wie seine Knie nachgaben. Da er stets darauf achtete, möglichst nicht anzuecken, versuchte er, den Herrscher um Erlaubnis zu bitten, sich setzen zu dürfen, fand sich schließlich jedoch kniend wieder, wie er benommen stöhnte, ja, mein Herr, Amen, als befände er sich in einem Ruf-und-Antwort-Ritual mit dem Herrscher.
18
Das, so erzählt man sich, war die Szenerie, der sich drei Abgesandten der Global Bank gegenübersahen – ein Weißer, ein Brauner, ein Schwarzer –, als sie am siebten Tag mittags um ein Uhr das Zimmer betraten. Sie ließen sich ihre Überraschung nicht anmerken, nicht einmal, als sie die Scheußlichkeit registrierten, zu der der Herrscher, auf dem Teppich sitzend und an die Wand gelehnt, verkommen war, nicht, als sie die Minister in unterschiedlichen Gebetshaltungen vorfanden und, nein, auch nicht, als sie die Männer ansahen und die Qualen auf ihren ausgezehrten Gesichtern bemerkten, denn die Besucher glaubten, dies sei ein religiöses Eingeborenenritual.
Sie waren Abgesandte der Bank, geschult, dass Geld weder Religion noch Rasse, Hautfarbe oder Geschlecht kannte; dass Geld die Wurzel allen Geldes war, die einzig beständige Gesetzmäßigkeit der neuen Weltordnung. Außerdem hatte man sie Sensibilität gegenüber den unterschiedlichen Kulturen gelehrt, und deshalb fürchteten sie, es könnte stören und verletzen, wenn sie in ein lebendiges religiöses Ritual hineinplatzten. Einer der Banker hielt Ausschau nach jemandem, bei dem er sich entschuldigen konnte.
Zum Glück für die Besucher hatten sie das Zimmer genau in dem Augenblick betreten, als der Herrscher eine Pause einlegte, als ob die Worte, die wochenlang in ihm gesteckt hatten, nun aufgebraucht waren und er auf eine frische Zufuhr wartete. Er sah sie, und ohne irgendeinen Versuch zu unternehmen aufzustehen, rief er: „Willkommen, willkommen!“ Als sie das Wort „willkommen“ hörten, zwangen sich die Minister aus ihren unterschiedlichen Stellungen hoch, um Stühle für die Besucher und sich selbst zu holen, den Bankgesandten innerlich dankbar dafür, dass sie den sieben Tagen der Erschöpfung, des Dursts, des Hungers und der Schlaflosigkeit ein Ende bereiteten.
Der Herrscher verschwendete keine Zeit. Er bat seinen Finanzminister und den Schatzmeister, ihre Überlegungen zur Rolle von Marching to Heaven in der Wirtschaft Aburĩrias, Afrikas und der Welt insgesamt zusammenzufassen und alle Fragen zu beantworten, die im abschlägigen Bescheid der Global Bank vorgebracht worden waren. Doch bevor sich der Finanzminister räuspern und seine Zusammenfassung geben konnte, hatte der Herrscher bereits übernommen und ritt auf einer neuen Flutwelle von Wörtern.
Die Bankgesandten wurden unruhig und schauten immer wieder auf die Uhren, doch da sie sich schuldig fühlten, ein religiöses Ritual gestört zu haben, warteten sie aus Höflichkeit auf einen passenden Moment, um ein Wort einzuwerfen. Nach einer Stunde blickten sie hilfesuchend zu den Ministern, wer von ihnen den Herrscher wohl bitten könnte, ihr Anliegen vorzubringen. Aber kein Minister schien bereit, die Verantwortung übernehmen zu wollen.
Deshalb entschloss sich der ranghöchste Bankvertreter, nun doch zum Geschäftlichen überzugehen. „Entschuldigen Sie, Sir“, sagte er, aber es nutzte nichts. Er unternahm einige weitere Versuche, bemühte sich angestrengt um normale Lautstärke und einen höflichen Ton, sah
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