Herr der Krähen
identischen Aktentaschen, die aus dem Krankenzimmer kamen. Der eine war weiß, der zweite braun, der dritte schwarz. Der Weiße fluchte: „Oh, verdammt, wir sind spät dran!“ Spät?, fragte sich der Herr der Krähen. War der Herrscher von Aburĩria gestorben?
16
Es heißt, dass der Herrscher, als seine Minister und das ganze Gefolge das Krankenzimmer betraten, sie nicht mit den üblichen Floskeln empfing: Wie geht’s, wo seid ihr gewesen, danke, dass ihr gekommen seid, oder Gott sei Dank, mir geht es besser. Er begann loszureden, als nähme er das unterbrochene Gespräch vom Mittagessen wieder auf. Er hatte sogar den Brief in der Hand, den der Bote des Global Courier Service gebracht hatte, genau so, wie er ihn an dem Tag gehalten hatte, als Machokali ihn übergab, und wedelte damit herum, als wäre er Requisite, Beweismittel und Talisman in einem.
„Ja, hätten mich die Direktoren der Global Bank so beleidigt, wie sie das in diesem Brief getan haben, wenn meine Haut weiß wäre?“, fragte er die Minister, die donnernd mit „ NEIIN! “ antworteten.
Es wäre eine Untertreibung zu sagen, dass die Minister verblüfft waren, so verschieden brachten sie Erleichterung und Fassungslosigkeit zum Ausdruck. Der Herrscher keuchte, als müsste er sich noch an die Last des Redens gewöhnen. Zwar zeigte sein Körper kein Anzeichen einer Verschlankung, zumindest aber schien er nicht mehr kurz vor dem Platzen zu stehen. Deshalb lauschten sie seinen Worten, was immer diese bedeuten mochten, mit Wohlgefallen.
„Ich habe angestrengt über diesen Brief nachgedacht und entschieden, dass wir uns der Herausforderung stellen und mit Argumenten aufwarten werden, die die Direktoren der Global Bank veranlassen können und werden, ihre Meinung zu ändern.“
Trotz vieler offener Fragen spendeten sie ihm dröhnend Applaus. Diesmal, so sagte er, würde er kein Papier schicken, sondern den Fall persönlich vorantreiben, mit mündlichen Argumenten. Er bat Machokali, rasch eine Einladung an die Direktoren der Global Bank zu einer Konferenz am nächsten Tag im Hotel zu entwerfen, damit sie sich die zusätzlichen Fakten und Argumente zur Finanzierung von Marching to Heaven anhören könnten. „Gib die Einladung dem Boten, der vor Kurzem hier war“, befahl der Herrscher, der den Herrn der Krähen mit dem Boten des Global Courier Service verwechselte.
Machokali ging hinaus. Nach einiger Zeit kam er zurück ins Zimmer, um zu berichten, dass er, weil der Bote bereits fortgewesen sei, die Einladung persönlich gefaxt und anschließend telefoniert habe. Er sei stolz, verkünden zu können, dass die Wünsche des Herrschers Früchte getragen hätten, und die Direktoren, obwohl sie es bedauerten, weder am nächsten noch am übernächsten Tag zu kommen, ihm versichert hätten, binnen sieben Tagen Vertreter zu einer Anhörung zu schicken. Feierlich schwenkte Machokali das Fax mit der Bestätigung der Zusage, die er den Bankern abgerungen hatte.
Der Herrscher bekundete Genugtuung. Als Nächstes wollte er, zu ihrer großen Freude und unverzagten Bewunderung, vor seinen Ministern die mündliche Argumentation proben. Mit Applaus bedankten sie sich für das Privileg einer Probeaufführung.
„Hört genau zu, weil ich vielleicht dieselbe Rede vor der Vollversammlung der Vereinten Nationen halten werde. Stellt euch vor, ihr seid die Direktoren der Global Bank“, wies er seine Minister an, „und zugleich die Vollversammlung der Vereinten Nationen …“
Das unergründliche wie unerschütterliche Gemüt dieses Mannes beeindruckte sie immer wieder; sie waren jetzt bereitwillige Opfer von etwas, das eine unglaubliche Darbietung zu werden versprach.
17
Gerüchte besagen, der Herrscher habe sieben Tage und sieben Nächte, sieben Stunden, sieben Minuten und sieben Sekunden ununterbrochen geredet. Am Ende hatten die Minister so viel applaudiert, dass sie betäubt und schläfrig waren. Einige bemerkten nicht, dass sie selbst heiser geworden waren und nur noch kaum hörbare Laute hervorbrachten: „Mehr, gib uns mehr, stimme mit dem Allmächtigen völlig überein.“ Sie brachten nicht mal mehr einen vollständigen Satz heraus, dann kaum noch ein Wort und schließlich nicht eine Silbe.
Als sie zu erschöpft waren, um zu stehen, knieten sie einer nach dem anderen vor dem Herrscher nieder, bis die Szenerie aussah, als befände sich eine Gemeinde im Gebet vor den Augen des Herrn. Aber bald stellten sie fest, dass es ebenso ermüdend war, kniend den Körper
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