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Herr der Krähen

Herr der Krähen

Titel: Herr der Krähen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ngugi wa Thiong
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ruhig und starrte vor sich hin, wobei er langsam am Haar über seinem rechten Ohr zupfte, als ob sein Geist umherwanderte und seinen Körper zurückgelassen hatte. Fragen schossen mir durch den Kopf: Hatte der Herrscher etwa einen Herzinfarkt erlitten? Machokalis Zustand nach zu urteilen, schien es so. Wo war der Herr der Krähen, der die Toten zum Leben erwecken konnte?“

21
    Der Herr der Krähen machte es sich auf dem Rücksitz bequem und war erleichtert, dass ihm der Geruch aus dem Krankenzimmer nicht bis ins Taxi gefolgt war. Das war zugleich eine gute Gelegenheit, das echte New York zu sehen, denn seit seiner Ankunft hatte er noch keine Zeit gehabt, außerhalb des Hotels herumzuschlendern.
    Er dachte an das Fifth Avenue VIP Hotel und war schon bald damit beschäftigt, das wenige, was er von ihm gesehen hatte, mit den Hotels in Aburĩria zu vergleichen. Das lenkte ihn vom Sinnieren über Wirklichkeit und Illusion ab.
    An einer Ampel fiel dem Fahrer auf, dass die Limousine einen Block weiter vorne angehalten hatte. „Ihre Leute sind stehen geblieben“, sagte er und riss den Zauberer aus seiner Selbstbetrachtung. Die drei Männer stiegen aus und rannten über die Straße, während ihr Wagen davonpreschte. Er bat den Fahrer anzuhalten, bezahlte und stieg aus. Die Männer betraten einen imposanten Wolkenkratzer. Er ging über die Global Avenue, als hätte er dasselbe Ziel. Die Macht, die hier in Glas und Beton eingeschlossen war, faszinierte ihn. Alle Gesetze und Regulierungen, die die Wirtschafts- und Finanzpolitik sämtlicher Nationen regierten, kamen aus diesem Gebäude. Welches Lied die Bank auch sang, die Staatsoberhäupter der Welt tanzten danach; wenn sie nieste, klagte die ganze Welt über Migräne. Was sollte er tun? Eintreten und die Männer ansprechen? Vorgeben, er wäre an ihren Schriften über ihre Rolle bei der Entwicklung einer neuen Weltgemeinschaft interessiert? Während er sich unentschlossen dem Gebäude näherte, kam er an einer Nebenstraße vorbei. Am Eingang stand ein Schild mit der Aufschrift DEAD END.
    Er war ein wenig benommen und konnte seinen Augen kaum trauen. Das war ein Bild, das er während seines Vogelseins gesehen hatte. War das Schild ein Omen? Er grübelte über die möglichen Bedeutungen nach, lächelte in sich hinein und beschloss, zum Hotel zurückzukehren. Er war jetzt mehr denn je auf den Zustand des Herrschers konzentriert.
    Im Hotel in der Fifth Avenue ging der Herr der Krähen am Empfang vorbei zum Fahrstuhl. Egal, wie oft er auf den Knopf drückte, der Lift fuhr nur bis zum dritten Stock. Die Empfangsdame klärte die Sache auf. Die darüber liegenden Stockwerke waren privat und konnten nur mit einem speziellen Passierschein betreten werden, und den besaß er nicht.
    Die Empfangsdame fragte nach seinem Familiennamen, um in ihrem Verzeichnis nachzusehen. Er wollte schon Kamĩtĩ wa Karĩmĩri sagen, als ihm einfiel, dass sein Pass auf einen anderen Namen ausgestellt war, Abdi Mganga, aus Sicherheitsgründen, wie Sikiokuu gemeint hatte, und er konnte sich auch nicht erinnern, registriert worden zu sein. Die Empfangsdame schlug vor, in der Suite anzurufen, doch dort nahm keiner ab. Mehr könne sie momentan nicht für ihn tun, erklärte sie, er könne aber gern in der Empfangshalle warten; vielleicht würde einer seiner Leute anrufen oder herunterkommen.
    Er setzte sich; er wartete. Warum war alles so kompliziert?

22
    Der Herr der Krähen hing in der Empfangshalle herum und wusste nichts mit sich anzufangen. Er kaufte eine Zeitung, konnte den Berichten aber nicht folgen. Er schaute jeden prüfend an und hoffte, ein Delegationsmitglied zu entdecken. Eine hochschwangere Frau stieg aus einem Taxi und betrat das Hotel; sein Blick folgte ihr, bis sie verschwunden war. Unwillkürlich stellte er sich Nyawĩra als werdende Mutter vor. Er hatte sich immer nach einer Familie gesehnt, die sich auf Liebe und gegenseitigen Respekt zwischen Mann, Frau und Kindern gründete.
    Seine Sehnsucht nach Nyawĩra war grenzenlos; er war viel zu lange fort gewesen. Sogar Machokali hatte gesagt, man brauche ihn nur für einen Tag und würde ihn nach Hause schicken, sobald er den Herrscher geheilt habe. Vielleicht hatte sich der Herrscher erholt und es ging ihm wieder gut; vielleicht redete er immer noch. Wie auch immer, für ihn stand fest, dass seine Dienste nicht mehr gebraucht wurden. Er musste zurück nach Aburĩria. Zum Glück hatte er noch seinen Pass und das Flugticket.
    Aber er wollte sich

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