Herr der Krähen
vorstellen, wie das ist, wenn man tagaus, tagein, am hellen Tag und in der dunklen Nacht vor sich hinbrütet?“
Was A.G. in Gedanken hin und her wälzte, war der zwei Zeilen lange Brief, den der Herr der Krähen an Machokali geschrieben hatte. Ein Satz ließ ihn nicht los: „Passen Sie auf sich auf.“ A.G. dachte daran, was der Herr der Krähen an jenem Tag in der Bar in betrunkenem Zustand herausgestottert hatte: „Meine Nachricht war für eine Person gedacht, für eine einzige: Machokali, den Minister für Auswärtige, ich meine, für Auswärtige Angelegenheiten. Und ich wollte ihm nur eines mitteilen … Passen Sie auf sich auf.“
„Ehrlich! Haki ya Mungu , der Herr der Krähen hatte das alles vorhergesehen!“, rief A.G. immer, wenn er später die Geschichte von damals erzählte.
Aber was genau hatte der Zauberer vorhergesehen? Je länger er darüber nachdachte, desto mehr neigte A.G. dazu, den Gedanken zu verwerfen, dass der Herr der Krähen der Urheber des Verschwindens des Ministers war. Das Undenkbare, dass der Herrscher darin verwickelt sein könnte, drängte sich ihm auf. Vor dem Verschwinden hatte A.G. keinen Widerspruch in seinem Glauben an den Herrscher, an Gott und an den Herrn der Krähen gesehen, weil er in diesen drei Wesen Ideale verkörpert sah, die irgendwie den Menschen dienten. Jetzt aber kamen ihm zum ersten Mal ernsthafte Zweifel. Und obwohl er gern Gesellschaft gehabt hätte, wünschte er sich nun keine mehr, denn diese Gedanken konnte er mit niemandem teilen. Lieber kämpfe ich mit meinen Zweifeln, sagte er sich, und behalte alle Antworten für mich. Vielleicht ist es auch das Werk von Machokalis Erzfeind, Staatsminister Sikiokuu.
„Seltsam war nur, dass ich mich, während in meinem Hirn zahllose Fragen durcheinanderwirbelten, voller Klarheit daran erinnerte, wie Machokali die Hand hob und mir zuwinkte, als wollte er sich verabschieden. Wen würde man als Nächsten verschwinden lassen? Das wusste nur der Herr der Krähen, und der sagte nichts als ‚wenn‘.“
A.G. ’s Hoffnung, alles herauszufinden, lag einzig in der Wiederherstellung der Stimme des Herrn der Krähen.
13
Sikiokuu, der nichts davon ahnte, dass der Zauberer von der Krankheit der Worte befallen war, wartete angsterfüllt auf dessen Aussagen. Statt Freude über das Verschwinden seines Erzfeindes zu empfinden, fühlte sich Sikiokuu getroffen, als er erfuhr, dass der Minister unauffindbar war. Er dachte an ihre letzte Zusammenkunft im State House. Nachdem die drei Polizisten abgetreten waren, war als Nächster Sikiokuu gegangen; der Herrscher, Machokali, Tajirika und Kaniũrũ waren zurückgeblieben. Was war nach seinem Weggang geschehen?, fragte er sich. Hatten Tajirika und Kaniũrũ irgendetwas mit dem Verschwinden des Ministers zu tun?
Wie sehr er sich auch wünschte, Nachforschungen über die beiden anzustellen, er überlegte es sich doch anders. Wenn Machokali ermordet worden war, hatte man die Aufgabe womöglich Tajirika oder Kaniũrũ übertragen? Sikiokuu bekam es mit der Angst zu tun. Was, wenn der Herr der Krähen dem Herrscher von Sikiokuus Ambitionen, die er ihm offenbart hatte, erzählte? Je länger Sikiokuu darüber nachdachte, desto mehr sah er sich in Gefahr. Sollte er ins Ausland fliehen? Oder in einer westlichen Botschaft in Eldares um politisches Asyl bitten? Aber wie sollte er die Gefahr erklären, in der er schwebte?
Und so wuchs seine Verzweiflung darüber, nicht zu wissen, was der Herr der Krähen ausgesagt hatte. Er versuchte, sich mit seinen früheren Untergebenen Njoya und Kahiga in Verbindung zu setzen, um ihnen ein paar Informationen zu entlocken, aber die waren die ganze Zeit im State House.
Er wälzte sich gerade in diesen Ängsten, als er selbst ins State House gerufen wurde. Es war die erste Aufforderung dieser Art seit dem Verschwinden des Ministers. Er erwartete das Schlimmste und war erleichtert, als man ihn lediglich bat, den ursprünglichen Bericht über hochverräterische Handlungen zu kürzen und dahingehend zu ändern, dass Machokali mit dem Schlangenbilden in Verbindung gebracht wurde, als Teil seines mutmaßlichen Plans zum Sturz der legitimen Regierung des Herrschers.
Als seine Zusammenfassung später zur Grundlage der Regierungsverlautbarung wurde, die Machokali Pläne für einen Staatsstreich unterstellte, dachte Sikiokuu bei sich: Es war also der Bericht zum Hochverrat, der Machokali in Schwierigkeiten gebracht hat? Er fühlte sich ein wenig schuldig, weil viele
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