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Herr der Krähen

Herr der Krähen

Titel: Herr der Krähen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ngugi wa Thiong
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vermissten Minister, vor allem aus London und Washington. Sogar nachdem die Regierung ihre Stellungnahme herausgegeben hatte, in der Machokali mit einem Staatsstreich in Verbindung gebracht wurde, ließ die Flut von Anfragen nicht nach. So durfte es nicht weitergehen! Eine mutmaßliche Schwangerschaft machte ihn zur Zielscheibe des Spotts, überall richteten Aufrührer Chaos an, und der Druck aus dem Ausland wurde immer stärker. Und weil er nicht mehr in der Öffentlichkeit erschien, verstärkte sich der Druck und ließ weitere Fragen aufkommen.
    Er versuchte, denen, die sich darüber wunderten, warum er nicht mehr in der Öffentlichkeit auftrat, den Mund zu stopfen, indem er die stellvertretende Botschafterin in Washington mit sofortiger Wirkung zur offiziellen Nationalhostess für Empfänge und Feierlichkeiten berief, die seine zeremonielle Anwesenheit erforderten. Sie nahm den Ruf an und unterschrieb die E-Mail mit Dr. Yunique Immaculate McKenzie, PhD, ONH , und änderte ihren Namen damit ein weiteres Mal, um ihrem neuen Rang im Machtgefüge zu entsprechen.
    Diese Ernennung, über die das Radio und anschließend alle anderen Medien berichteten, fachte die Gerüchte um eine den Herrscher schwächende Schwangerschaft als Grund seiner Abwesenheit von der Öffentlichkeit weiter an. Ganz abgesehen von dem Wissen, wie man Geld auf Bäumen wachsen ließ, einem Wissen, das die Abhängigkeit des Herrschers von der Global Bank verringern würde, war der Herr der Krähen der Einzige, der diese Gerüchte über seine Schwangerschaft unverzüglich zum Schweigen bringen konnte. Der Herrscher wollte den Zauberer zwingen, in aller Öffentlichkeit zu gestehen, dass er diese Märchen über die Schwangerschaft als Teil der Putschpläne des Ministers durch seinen Brief an Machokali erzeugt hatte. Der einzige Haken an dieser Lösung war wieder dieses winzige Wörtchen „wenn“, das dem Zauberer die Sprache blockierte. Man musste einen Zauberer finden, der den Zauberer heilte.
    Der Herrscher zeigte mit dem Finger auf Tajirika und sprach mit feierlichem Ernst: „Du bist ein einfallsreicher Mann, Gouverneur. Du hattest dir die Krankheit der Worte eingefangen und hast Heilung gefunden. Wer eine ganze bewaffnete Anstalt mit einem Kübel voll Scheiße und Pisse als einziger Waffe in seine Gewalt bringen kann, der findet bestimmt auch den Hexenmeister, den ich brauche. Gouverneur, du bist am Zug!“

16
    Auch Wochen nach seiner Beförderung mochte Tajirika noch immer nicht glauben, jetzt der Gouverneur der Central Bank of Aburĩria zu sein. Man konnte ihm nicht übel nehmen, dass er seinen neuen Status nur mit einiger Vorsicht annahm, denn das Pendel seines Glücks hatte seit jenem schicksalhaften Abend, als der Herr der Krähen auf der Suche nach Arbeit – die er offensichtlich nicht brauchte – in der Eldares Modern Construction and Real Estate in sein Leben getreten war, immer wieder in beide Richtungen ausgeschlagen.
    Häufig fand er sich vor dem Spiegel und grüßte sein Spiegelbild: „Hallo, Gouverneur, bist du das wirklich?“ Der Klang des Wortes „Gouverneur“ erregte ihn, weil es an die lange Reihe kolonialer Gouverneure in Aburĩria erinnerte. Was zunächst als spielerische Selbstbestätigung begonnen hatte, wurde zum Bedürfnis, und er redete immer öfter mit seinem Spiegelbild, vor allem über Dinge, über die er mit niemandem sonst sprechen konnte. „Hallo, Gouverneur, was machen wir heute?“, fragte er sein Bild im Spiegel, wenn er sich die Zähne putzte oder die Krawatte band. Und bevor er das Haus verließ, sagte er: „Auf Wiedersehen, Gouverneur.“ Und abends: „Ich bin wieder da, Gouverneur. Wie war der Tag im Büro?“ Und jeder dieser Sätze konnte ein Gespräch mit seinem Spiegelbild auslösen.
    Als der Herrscher Tajirika die Aufgabe übertrug, einen Hexenmeister zu finden, der das Böse austreiben sollte, das dem Herrn der Krähen die Stimme blockierte, stand er wieder vor dem Spiegel und sprach mit seinem Spiegel-Ich.
    „Wo soll ich anfangen? Soll ich durch die Straßen gehen, Leute anhalten und sagen: Entschuldigung, ich bin der neue Gouverneur der Central Bank. Können Sie mir bitte sagen, wo ich einen Hexenmeister finde? Ein bisschen peinlich, meinst du nicht, wenn der Gouverneur der Central Bank durch die Straßen von Eldares zieht und nach einem Zauberheiler fragt?“
    Viele Aburĩrier glaubten nicht, dass Menschen, abgesehen von den Betagten, eines natürlichen Todes starben. Sie glaubten, dass

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