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Herr der Krähen

Herr der Krähen

Titel: Herr der Krähen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ngugi wa Thiong
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Himmel und Hölle vor der untersten Treppenstufe stand. In versöhnlichem Ton erklärte die Gottheit, dass der Zauberer nun, da er seine Stimme wiedergefunden habe, vor die Versammlung auf dem Parlamentsgelände und vor das Oberste Gericht treten und gestehen würde, die Menschen mit den Dämonen des Schlangestehens verhext zu haben. Der Herrscher führte als Beweis sogar an, dass der Herr der Krähen als Arbeitssuchender verkleidet zu Tajirikas Büro gegangen sei, um dort am nächsten Tag die Schlangen entstehen zu lassen. Er müsse der Öffentlichkeit auch mitteilen, auf Geheiß des verblichenen Machokali nach Amerika gereist zu sein, um den Herrscher zu töten. Als dieser Hexertrick jedoch nicht funktioniert habe, hätten der Zauberer und der Minister das haltlose Gerücht in die Welt gesetzt, dass der Herrscher schwanger sei. Der Zauberer habe die Dämonen des Schlangestehens zu entfernen, die Menschen vom Widerstand gegen den Staat zu reinigen und ihren Verstand anschließend mit nützlichen Ideen zu füllen. Wenn das Volk friedlich auseinanderginge, würde der Herrscher ihn leben lassen; als staatlich geprüften Zauberer – des Herrschers ständiger persönlicher Afrochiater –, Ratgeber in Fragen zur Seele der Nation, Fänger von Flüchtigen wie Nyawĩra und eine Menge anderer Dinge, über die er mit ihm unter vier Augen sprechen wolle. „Ich gebe dir Gelegenheit, eine Nacht darüber nachzudenken“, bot der Herrscher großmütig an.
    Als er am nächsten Tag antworten sollte, sagte der Herr der Krähen, dass seine magischen Kräfte nicht lügen könnten.
    Es sei nicht die Frage, was er wolle und was nicht, erwiderte der Herrscher drohend. Er habe zu tun, was man von ihm erwarte.
    Kaniũrũ mischte sich ein: „Das ist, was die Engländer ,ultimatum‘ nennen.“
    „Yes, an ultimatum“, echote der Herrscher.
    Diktatoren kommen erst durch Angst zur vollen Entfaltung, überlegte der Herr der Krähen. Sie lieben es, wenn ihre Untertanen vor ihnen erzittern und verzweifelt um Gnade und Vergebung flehen. Wenn der Diktator vorhatte, ihn umzubringen, würde er das auf jeden Fall tun, egal, was er sagte. Selbst ein Tier, das man zur Schlachtbank führt, wehrt sich, dachte der Zauberer.
    Das Patt – dieselbe Frage und dieselbe Antwort – hielt sich eine Weile, wobei Kaniũrũs Sarkasmus, der darauf abzielte, die Niedergeschlagenheit des Zauberers zu verstärken und zugleich den Zorn des Herrschers weiter anzustacheln, das Seine zur Steigerung der Spannungen beitrug.
    Der Diktator gab dem Zauberer eine letzte Chance für eine akzeptable Antwort und unterstrich seine Entschlossenheit, ihn fügsam zu machen, indem er den Herrn der Krähen in den Tempel der menschlichen Gebeine werfen ließ.
    Bei Tagesanbruch des dritten Tages kam der Zauberer zu einem Entschluss. Es war besser, in aller Öffentlichkeit zu sterben, als sein Ende im Dunkel des Tempels der menschlichen Gebeine zu finden.
    „Wann soll ich vor der Volksversammlung erscheinen?“, fragte der Herr der Krähen.

15
    Nyawĩra und die Mitglieder der Bewegung hörten gebannt den nationalen Rundfunk ab, um Neuigkeiten zu erfahren und die Reaktion des Herrschers auf ihren Aufruf zum Generalstreik und den Tag der Nationalen Wiedergeburt abschätzen zu können. Das Radio war zwar Sprachrohr des Herrschers, aber ab und zu lohnte es sich einzuschalten. Durch genaue Analyse der Quellen des Regimes hatten sie schon in der Vergangenheit vieles herausbekommen und darauf reagiert, was den Herrscher manchmal glauben gemacht hatte, die Bewegung verfüge über Spitzel im State House.
    Aber diesmal waren sie über die Denkweise und die Pläne des Diktators völlig verblüfft. Sie spitzten die Ohren, um besser zu verstehen, was da aus dem Radio kam. Zuerst war vom Geburtstag des Herrschers die Rede. Das Volk wurde darauf hingewiesen, dass dies der wahre Grund für nationale Feierlichkeiten war. Außerdem wurde die Nation daran erinnert, dass der Herrscher den Termin erst noch festlegen müsse. Sie sollten eingeschaltet lassen. Und sie mussten nicht lange warten.
    „Was?“, fragten sie und sahen sich ungläubig an, als hätten sie die Worte aus dem Radio nicht richtig verstanden. Die offiziellen Feierlichkeiten fielen auf den Tag, den die Bewegung für die Stimme des Volkes als Tag der Nationalen Selbsterneuerung ausgesucht und ausgerufen hatte. Der Tag, den sie zum Höhepunkt der Volksversammlung machen wollten, war zum Tag der offiziellen Feierlichkeiten anlässlich des

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