Herr der Krähen
selber nicht genau; es ging mir nicht einmal nur um das Geheimnis, wie man Geld anbaut. Etwas anderes trieb mich an. Ich dachte, wenn ich dem Herrn der Krähen in seiner anderen Gestalt zufällig begegnen würde, könnte er mir vielleicht etwas sagen, das mich befähigen würde, das, was ich in meinem Herzen wachsen spürte, genauer zu ergründen …“
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Nyawĩra war vollkommen von den Aktivitäten der Volksversammlung, einem Plan ihrer Bewegung, in Anspruch genommen, als sie die Nachricht erreichte, der Herr der Krähen habe sich vor All Saints den Vertretern des Regimes ergeben. Sie war wie vor den Kopf geschlagen. Seit ihrer Flucht hatte sie keinen geeigneten Augenblick gefunden, sich mit ihm zu treffen, war aber überzeugt gewesen, dass dieser Moment kommen würde, solange er sich in der Obhut Marithas und Marikos im Keller der Kirche befand. Und jetzt das? Hatte er die Hoffung aufgegeben, oder was? Sie fühlte sich noch schlechter, als sie später von Maritha die Nachricht erhielt, dass nicht einmal Vinjinia wusste, wohin sie ihn gebracht hatten. Hatten sie ihn gar verschwinden lassen wie Machokali?
Sie setzte sich mit anderen Mitgliedern der Bewegung zusammen, um über eine angemessene Reaktion zu beraten, doch es fiel ihnen nichts ein, womit sie den Triumph des Herrschers unmittelbar schmälern konnten. Ratlos suchte sie wie gewöhnlich Zuflucht in der Arbeit und vergrub sich noch tiefer in die alltäglichen Details der Volksversammlung. Aber wo sollten all diese Aktivitäten hinführen? Die Bewegung hatte das Schlangestehen nicht initiiert; sie hatte nur ihre Ideen in diese ursprünglich spontanen Demonstrationen eingeschleust und ihnen mit dem Marsch auf das Parlament ein gemeinsames Ziel gesetzt, das in der Forderung nach Rückgabe der Stimme an das Volk gipfelte. Ob sie die Versammlung aufrechterhalten konnten, ohne ihr ein klares, erreichbares Ziel zu geben? Was, wenn die erneute Verhaftung des Zauberers das Signal zu einem verstärkten und entschlosseneren Angriff auf die Versammlung war?
Sie fanden eine kurzfristige Lösung, die zugleich Antwort auf die erneute Ergreifung des Zauberers war.
Die Aktivitäten sollten ihren Höhepunkt in einem Tag der Selbsterneuerung finden, an dem das Volk den Diktator auffordern würde, entweder selber zu gehen oder abgesetzt zu werden. Und sie würden ihren Schwur bekräftigen, das Land auf einen anderen Kurs steuern zu wollen. Sie vereinbarten ein Datum und den Namen. Dieser Tag der Nationalen Wiedergeburt oder Selbsterneuerung wurde durch mündliche Weitergabe und Tausende Flugblätter verkündet, und sie riefen außerdem zu einem eintägigen Generalstreik und zu Festlichkeiten im ganzen Land auf, um diesen Tag zu kennzeichnen und zu feiern. Eine freudige Revolution, darauf hofften sie.
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Sogar die Polizisten, die im State House den Herrn der Krähen in das Zimmer des Herrschers schoben, knieten nieder und bekreuzigten sich automatisch, bevor sie sich zurückzogen. Der Gefangene machte es ihnen nicht nach, doch nichts bei seiner letzten Begegnung mit dem Herrscher hatte ihn auf diesen Anblick vorbereitet.
Die weiß, blau und grau gestrichene Decke vermittelten den Eindruck eines Himmels mit Sonne, Mond und Sternen. Die Wände und die Leinwand, die den Bauch des Herrschers bedeckte und sich bis zu den Wänden und hinunter zum Fußboden erstreckte, waren in Grün, Gelb und Orange gehalten, eine realistische farbige Darstellung einer sanft hügeligen Landschaft. Vom Teppich schraubte sich eine Treppe hinauf und verschwand in Dunstschwaden, die auch den Kopf der sitzenden Gestalt umwölkten. Die Lampen, die die Treppe beleuchteten, und der Dunst, der von einer verborgenen Nebelmaschine produziert wurde, hatten den Herrscher in eine wahre Gottheit verwandelt, die vom Himmel herabschaute und über eine sündige Erde richtete.
Der Herrscher war mit der Wirkung der Illusion auf seine Besucher sehr zufrieden. Kaniũrũs Kunstgriffe hatten ihm nicht nur geholfen, den Zauberer zu schnappen, sondern außerdem eine Angelegenheit von Schmach und Schwäche in ein Abbild von Macht und Größe zu verwandeln. Ein gutes Beispiel für engagierte Kunst. Er belohnte den Künstler, indem er ihm erlaubte, bei ihm zu bleiben, während er den Gefangenen verhörte. „Ich brauche deinen Rat“, hatte er zu Kaniũrũ gesagt, der seiner eigenen Illusion zu glauben schien und nun mit einem großen Schlüssel in der Linken und einer Mistgabel in der Rechten als Wächter am Tor zu
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