Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Herr der Krähen

Herr der Krähen

Titel: Herr der Krähen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ngugi wa Thiong
Vom Netzwerk:
Geburtstages des Herrschers geworden und erinnerte an jenen Tag, an dem Marching to Heaven ins Leben gerufen worden war. Ihr Aufruf zu einem eintägigen Generalstreik an diesem Tag verlor seine Bedrohlichkeit, indem ihn die Regierung zum Nationalfeiertag erklärte. Was konnte die Bewegung unternehmen, um die Pläne des Regimes zu durchkreuzen und den Tag der Nationalen Selbsterneuerung zu retten?
    Sie hatten sich noch nicht richtig von diesem Schlag erholt, als sie ein weiterer Schock traf. Im Radio wurde bekannt gegeben, dass der Herr der Krähen an diesem Tag vor der Volksversammlung ein öffentliches Geständnis ablegen werde.
    Sie diskutierten, den Tag der Nationalen Selbsterneuerung auf einen anderen Tag zu verschieben. Doch hatten sie das Datum bereits bekannt gegeben. Wenn sie jetzt einen anderen Tag ansetzten, würde das einen Sieg für den Herrscher bedeuten, und das könnte ihn bestärken, weitere psychologische Schläge – und vielleicht sogar physische – gegen die Volksversammlung zu unternehmen. Nein, beschlossen sie nach leidenschaftlicher Diskussion, sie würden an diesem Tag festhalten und die Selbstdarstellung des Herrschers zunichte machen. Aber was sollten sie wegen des Herrn der Krähen tun?

16
    „Als ich im Radio hörte, dass der Herr der Krähen vor der Volksversammlung sprechen würde“, sollte A.G. später berichten, „drehte sich mir der Kopf, weil mich der Herr der Krähen ein weiteres Mal erstaunte. Erst wenige Tage zuvor hatte man ihn in Handschellen abgeführt. Und jetzt das! Noch erstaunlicher war die Einladung der Regierung an alle Bürger, sich der Volksversammlung anzuschließen. War es nicht erst gestern gewesen, dass die Polizei die Warteschlangen brutal auseinandergetrieben hatte? Hatte der Herrscher nicht erst vor Kurzem gedroht, die Volksversammlung von Panzern niederwalzen zu lassen? Jetzt befahl er seiner Polizei, alle zu verhaften, die die große Versammlung stören würden. Ich machte mir ein wenig Sorgen, vor allem, weil so viele widersprüchliche Geschichten im Umlauf waren …“
    Wer dabei war, wird sich erinnern, wie der Krieg der Gerüchte mit jedem Tag an Schärfe zunahm. War die Versammlung ein von der Regierung organisiertes Schauspiel oder eine wirkliche Volksversammlung? Die beiden wesentlichen Transportmittel zur Verbreitung der Behauptungen und Gegenbehauptungen waren der staatliche Rundfunk, im Volksmund Sprachrohr des Herrschers getauft, und die Mund-zu-Mund-Propaganda des Volkes, die allgemein nur Buschfunk genannt wurde. Kam vom Sprachrohr etwas über den Geburtstag des Herrschers, konterte der Buschfunk mit Berichten über den Tag, an dem der Diktator gebären würde. Behauptete das Sprachrohr, dass der Mann, der die Lügen über die männliche Schwangerschaft verbreitet habe, bereit sei, vor der Volksversammlung ein Geständnis abzulegen, kam der Buschfunk mit der Behauptung, der Herrscher wolle an diesem Tag seine Schwangerschaft vor der versammelten Menge eingestehen.
    Zu diesem Zeitpunkt hatten sogar jene, die einem Besuch der Versammlung skeptisch gegenüberstanden, ihre Meinung geändert. Sie mussten dabei sein, um selbst zu hören, zu sehen und herauszufinden, welche der widersprüchlichen Behauptungen von Sprachrohr und Buschfunk stimmte. Dann verkündete das Sprachrohr die überraschende Neuigkeit, der Herr der Krähen werde am Tag der Versammlung mit Hilfe eines Spiegels Nyawĩras Aufenthaltsort offenbaren.
    „Nun ja, ehrlich! Haki ya Mungu ! Ich machte mich ebenfalls auf den Weg, na ja, wohin sonst als zur Volksversammlung.“

17
    Die Nachricht, dass der Herr der Krähen durch einen Spiegel weissagen würde, erreichte auch Sikiokuu in seinem Hausarrest; er bat dringend um eine Audienz und wurde nachts beim Herrscher vorgelassen.
    In seiner Zeit als Minister war Sikiokuu immer vor dem Herrscher niedergekniet, aber das war eher eine kriecherische Geste als eine von Herzen kommende Handlung gewesen. Aber jetzt, da er sich einer Szenerie gegenübersah, die er sich nicht hätte träumen lassen, einem von Sonnenstrahlen und Mondschein beleuchteten Himmel im Zimmer, sank er auf die Knie und Tränen für all seine Sünden rannen ihm über das Gesicht. Der Herrscher sprach sanft zu ihm: „Sikiokuu, erhebe dich und schütte mir dein Herz aus.“
    Doch er blieb auf den Knien und erinnerte Seine Heiligkeit an die Spiegel, die er, Sikiokuu, einst im Ausland bestellt habe. Diese seien noch nicht von einem Einheimischen kontaminiert worden, sie seien

Weitere Kostenlose Bücher