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Herr der Krähen

Herr der Krähen

Titel: Herr der Krähen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ngugi wa Thiong
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auf.
    „Was?“, fragte er benommen.
    „Hast du kein Kondom?“
    „Ein Kondom? Nein!“, antwortete er.
    Es war, als wäre Nyawĩra von roten Ameisen gebissen worden. Abrupt stieß sie ihn von sich, sprang auf und setzte sich aufs Bett.
    „Was habe ich falsch gemacht?“, fragte Kamĩtĩ verwirrt.
    „Falsch? Habe ich richtig gehört?“, fragte Nyawĩra außer sich vor Wut. „Du willst ohne Kondom in mich rein?“
    „Ich habe schon eine ganze Weile keine Kondome mehr bei mir. Ich habe gedacht, du nimmst die Pille oder …“
    „Glaubst du, eine Schwangerschaft ist das Schlimmste, was einer Frau zustoßen kann? Eine Schwangerschaft ist nichts Bösartiges. Sie wird erst zum Problem, wenn die Menschen nicht bereit sind, die Verantwortung zu tragen, nachdem sie ein Kind in die Welt gesetzt haben. Hast du noch nichts von dem Virus gehört? Schwangerschaft bedeutet Leben, das Virus den Tod.“
    „Ich bin nicht infiziert.“
    „Woher willst du das wissen? Und selbst wenn du es weißt, woher willst du wissen, dass nicht ich AIDS habe, oder Syphilis oder Tripper oder irgendeine andere Geschlechtskrankheit?“
    Unbehagen hatte das Verlangen verdrängt. Kamĩtĩ ging ins Bad, um sich unter der kalten Dusche abzukühlen. Nyawĩra wartete, bis er fertig war, dann duschte auch sie. Beide zogen sich wieder an. Kamĩtĩ ging, nachdem er sein Hemd, dem jetzt die Knöpfe fehlten, übergestreift hatte, ins Wohnzimmer, Nyawĩra verschwand in einem frischen Kleid in der Küche.
    Kamĩtĩ musste an die Zeit mit Wariara denken. Über ihr Sexleben, bevor sie einander begegnet waren, hatten sie nie gesprochen; er war überrascht, wie wenig er darüber wusste. Und als er jetzt an ihre zufällige Begegnung an der Angel’s Corner dachte, fühlte er sich unwohl in seinem Körper. Was wäre, wenn er sich bei ihrer einzigen intimen Begegnung das Virus geholt hatte und ihn beinahe weitergegeben hätte … Nein, er wollte nicht an seine Sorglosigkeit denken. Er war Nyawĩra dankbar, dass sie ihn gebremst hatte, und dies umso mehr, als sie jetzt seine Gedanken unterbrach, indem sie ihm einen Tee anbot.
    „Es tut mir leid“, sagte er. „Ich hätte es nicht so laufen lassen dürfen. Ich habe mich noch nie so zu jemandem hingezogen gefühlt. Normalerweise will ich den anderen besser kennenlernen, bevor es dazu kommt. Doch etwas an dir gibt mir das Gefühl, als würden wir uns schon immer kennen. Vielleicht hat das damit zu tun, was wir heute gemeinsam erlebt haben. Aber ich möchte nicht, dass du den Eindruck bekommst, ich würde mein Verhalten entschuldigen.“
    „Mir tut es auch leid. Auf dem College hatte ich immer eine Handvoll Kondome in der Handtasche, weil ich damals schon überzeugt war, dass sich Menschen, die einander nicht so gut kennen, gegenseitig schützen sollten. Man kann nie wissen, wer den Tod in die Liebe trägt. Nachdem ich geheiratet hatte, habe ich das gelassen, und auch nach meiner Ehe habe ich die schlechte Angewohnheit beibehalten, mich nicht auszustatten. Inzwischen hätte ich es besser wissen müssen. Man kann nicht ahnen, wann man in eine Situation gerät, in der der Körper den Willen ausschaltet. Wenn sich heute in Zeiten des tödlichen Virus’ jemand weigert, ein Kondom zu benutzen und trotzdem bis zum Äußersten gehen will, dann ist er mein Feind und nicht mein Liebhaber. Ich lasse nicht zu, dass er mich anfasst. Deswegen habe ich dich weggestoßen. Weil ich dachte, du gehörst zu denen, die es für unmännlich halten, ein Kondom zu benutzen.“
    „Du hast vollkommen recht.“
    Die Stimmung zwischen ihnen entspannte sich.
    „Was sollte denn das mit dieser Plastikschlange?“, fragte Kamĩtĩ in ruhigem Ton.
    „Hast du wirklich gedacht, sie lebt?“
    „Ich hatte das Gefühl, sie lebt, mit den rollenden Augen und der Zunge, die sich bewegt hat. Ich habe wahnsinnige Angst vor Schlangen. Und ich hasse Späße mit Schlangen.“
    Nyawĩra sah ihm forschend ins Gesicht. Nein, Kamĩtĩ und sie gehörten nicht zum selben Schlag: Sie waren auf unterschiedlichen Wegen vor die Tore des Paradise geraten. Sie hatten lediglich die Bettlerkleider gemeinsam, die sie trugen. Mehr nicht. Aber er schien ein gutes Herz zu haben. Er war in armen Verhältnissen aufgewachsen, könnte also einer der ihren sein. Dann fiel ihr ein, Kaniũrũ gehörte jetzt trotz seiner bescheidenen Herkunft zur Jugendbrigade des Herrschers und schützte die Reichen vor den Armen. Sie hielt sich zurück. Kamĩtĩ könnte sich als ein weiterer

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