Herr der Krähen
ständig ihre Stimme verändert, je nachdem, welche Person sie gerade nachahmte. Sagte nicht auch die Häufigkeit, mit der sie ihren Namen gewechselt hatte, etwas aus, und hatte sie nicht unverletzt einen Autounfall überstanden? Dazu die Geschichte über den brüllenden Esel vor der Klinik … Irgendetwas an ihr stimmte nicht.
Eine Mischung aus Furcht, Enttäuschung und Neugier erfasste ihn. Vor Schlangen hatte ihm schon immer gegraut. Allein ihre Erwähnung ließ ihn schaudern. Sie hatte gesagt, sie sei giftig! Ein Biss in Nase oder Auge wäre sein sicheres Ende. Was für ein Tag! Was für eine Nacht! Der Tag hatte erlebt, wie man ihn beinahe auf einer Müllhalde verscharrt hätte, die Nacht aber würde sein Ende durch einen Schlangenbiss erleben! Er hatte Angst davor, was als Nächstes passierte. Würde sie sich vielleicht in eine Antilope verwandeln, in eine Gazelle der Savanne oder in eine Katze? Oder in die Meerjungfrau, die sie eigentlich war? Sie schien zwar Mensch zu sein, aber bei diesen Frauen konnte man niemals sicher sein. Und was hatte ein Wasserwesen überhaupt an Land zu suchen? Er schaute ihr in die Augen und sah die Lichter, die darin tanzten. Nein, sie versuchte ihn zu hypnotisieren, um seine Aufmerksamkeit von der Schlange abzulenken.
Sein Blick konzentrierte sich wieder fest auf die Schlange. Langsam ging er rückwärts, doch die Wasserfrau folgte ihm Schritt für Schritt, passte sich dem Rhythmus seiner Bewegungen an. Als er in ihr Schlafzimmer trat, bemerkte er das große Bett in der Mitte des Raumes nicht, er war vollkommen gebannt von der drohenden Gefahr. Sobald sie ihren Auftrag, seinen Tod durch Schlangenbiss, erfüllt hatte, würde sie sich in einen Vogel verwandeln und davonfliegen, um andere ahnungslose Männer in die Falle zu locken, oder ins Meer zurückkehren, um ihren Wasserschwestern von ihrem großartigen Triumph zu berichten.
Trotz stieg in Kamĩtĩ auf. Selbst ein Ochse im Schlachthaus leistet bis zum bitteren Ende Widerstand; er wollte kein hilfloses Opfer sein. Er stürzte sich auf Nyawĩra.
Sie rangen auf dem Boden, und Kamĩtĩ fasste nach der Hand, in der sie die Schlange hielt. Nyawĩra aber war zu schnell für ihn; sie entwand sich seinem Griff, packte sein Hemd und er zog gleichzeitig an ihrem Kleid. Kurz darauf waren beide halbnackt. Sie ließen voneinander ab und starrten sich fasziniert an. Kamĩtĩ hatte noch nie einen so langen, so schönen Hals gesehen. Ihre Augen strahlten immer noch wie die einer Katze in der Nacht. Er sah sich nach der Schlange um und entdeckte sie leblos auf dem Boden.
„Ach die, die ist aus Plastik!“, sagte sie kichernd.
Kamĩtĩ begriff überhaupt nichts; er war wie gelähmt von Nyawĩras Anblick, ihrem langen Gazellenhals, den vollen, festen Brüsten, ihren harten Brustwarzen in der Farbe von Brombeeren, dem Leuchten in ihren Augen, das Nyawĩra beseelte. Erst ein oder zwei Sekunden später dämmerte ihm, was sie gesagt hatte.
„Eine Plastikschlange?“, fragte er. Erleichterung mischte sich mit Unglauben.
„Ja“, antwortete sie und lachte wieder.
Wut trat an die Stelle seiner Erleichterung. Nyawĩra spürte das und versuchte, sich seinem Zorn zu entziehen. Langsam ging er auf sie zu, als wollte er ihr an den Kragen. Schweigend umkreisten sie einander. Kamĩtĩ versuchte sie zu packen, doch es gelang ihr, ihm auszuweichen. Dann warf er sich plötzlich auf sie und sie fielen auf das Bett. Sie fanden sich und ihre Lippen trafen aufeinander.
Seit jenem unglückseligen Morgen mit Wariara war Kamĩtĩ nicht mehr mit einer Frau zusammen gewesen. Der Liebesakt damals hatte Abscheu in ihm hinterlassen und sein Verlangen gedämpft. Deshalb hatte er während seiner Enthaltsamkeit nicht das Gefühl gehabt, als fehlte ihm etwas. Jetzt aber erkannte er, dass seinem Leben etwas Wichtiges abgegangen war. Nyawĩra ging es ähnlich. Ihre Beziehung mit Kaniũrũ hatte ihr die Liebe vergällt, und sie hatte sich auf keinen Mann mehr eingelassen. Beide fühlten sich mit einer Macht zueinander hingezogen, der sie nicht widerstehen konnten.
„Langsam und sanft“, sagte sie. „Manche Männer haben es eilig, als kämen sie zu spät zu einem Geschäftstermin. Eine Frau ist kein Selbstbedienungsladen.“
Sie führte seine Hände zu ihren Brustwarzen, dann hinunter zu ihren Schenkeln. Seine Berührung ließ sie seufzen und schwer atmen, und beide waren bereit, einen Schritt weiterzugehen.
„Zieh es jetzt über“, forderte Nyawĩra ihn
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