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Herr der Krähen

Herr der Krähen

Titel: Herr der Krähen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ngugi wa Thiong
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Zugleich fühlte sie sich herausgefordert: Was macht es schon, dass er uns gefunden hat? Wofür will er uns festnehmen? Welches Verbrechen haben wir begangen? Dann fiel ihr ein, dass der Diktator von Aburĩria die Bewegung für die Stimme des Volkes für illegal erklärt hatte. Sie beschloss, ruhig zu bleiben und die Worte des Polizisten nach allem zu durchforsten, was vielleicht von Nutzen sein könnte.
    „Was wollen Sie?“, fragte sie herrisch.
    Bei diesem Ton zuckte der Polizist zusammen. Er schaute sich immer wieder um, als wäre er bereit, beim geringsten Anzeichen von Gefahr davonzulaufen. Trotzdem schien er verzweifelt entschlossen, sich von irgendetwas befreien zu wollen, das auf ihm lastete.
    „Ich heiße Constable Arigaigai Gathere. Es gibt viele Dinge, die mir schwer auf der Seele liegen. Bitte, Mutter, ich möchte – bitte – mit Ihnen reden.“
    „Mit mir? Sie möchten mit mir reden?“, fragte sie überrascht.
           „Ja, mit Ihnen. Nein. Ja, ehrlich, Haki ya Mungu , Zauberer. Ich möchte mit Ihnen reden. Entschuldigung, ich meine, ich muss den Herrn der Krähen sprechen.“

11
    Viel später, nachdem sein Leben viele überraschende Wendungen genommen hatte, die selbst für ihn, einen ausgebildeten Polizisten, jeglicher Vernunft zuwiderliefen, fand sich Constable Arigaigai Gathere immer wieder von einer Menschenmenge umringt, die eine Geschichte nach der anderen über den Herrn der Krähen hören wollte. Damals fingen die Leute an, ihn liebevoll mit den Anfangsbuchstaben seines Namens, A.G., zu rufen, wobei einige Zuhörer trocken behaupteten, sie stünden für „Ausgewiesener Geschichtenerzähler“. Wenn er in einer Kneipe seine Erlebnisse zum Besten gab, wurde seine Phantasie von einem nie versiegenden Schnapszufluss zu stets neuen Höhenflügen angefeuert. War er dagegen auf dem Land, auf einem Markt oder an einer Straßenkreuzung, fühlte sich Constable Arigaigai Gathere durch den Anblick der gespannten Gesichter der Männer, Frauen und Kinder beflügelt, die ihm begierig jedes Wort von den Lippen lasen. Doch egal wo er sich befand, seine Zuhörer erhielten von ihm Nahrung für die Seele: die unerschütterliche Hoffnung, dass, wie ausweglos etwas auch erschien, immer eine Wende zum Guten möglich war. Denn wenn ein einfacher Sterblicher wie der Herr der Krähen sich in jedes erdenkliche Wesen verwandeln konnte, dann konnte nichts dem menschlichen Willen zur Veränderung widerstehen.
    „Und wenn ich sage, dass er sich in alles Mögliche verwandeln konnte“, hob er immer hervor, „dann weiß ich das nicht nur vom Hörensagen. Ehrlich, Haki ya Mungu . Ich rede von dem, was ich mit eigenen Augen gesehen habe.“
    Die Geschichte, die sie immer wieder hören wollten, war die von jener Nacht, in der A.G. zwei Bettler von den Toren des Paradise vertrieb. Anfangs berichtete A.G. noch, dass er mit zwei anderen Polizisten zusammen gewesen war, doch im weiteren Verlauf und der ständigen Wiederholung der Geschichte verschwanden sie aus seiner Erzählung.
    „Ja, es begann vor dem Paradise. Man hatte uns dorthin geschickt, um sicherzustellen, dass die Besucher von der Global Bank nicht von der Bettlermenge belästigt wurden. Anfangs benahmen sich die Bettler auch ganz ordentlich, doch als sie anfingen, Wörter zu rufen, die mir niemals über die Lippen kommen würden, erhielten wir von oben den Befehl, sie zum Schweigen zu bringen und auseinanderzutreiben. Das war am frühen Abend, erinnere ich mich. Ich sah, wie mich ein in Lumpen gehüllter Mann mit Augen anschaute, die in der Dunkelheit heller glühten als die eines Tigers. Ich spürte, wie mich seine Augen zwangen, ihm zu folgen, als er fortging. Ich wollte ihm sagen, er solle damit aufhören, brachte aber keinen Ton heraus. Und was noch erstaunlicher war: Er rannte nicht davon. Ehrlich, Haki ya Mungu. Der Mann spazierte gemütlich dahin und schwang dabei eine große Tasche. Doch so sehr ich mich auch anstrengte, hinter ihm her zu rennen, die Entfernung zwischen uns blieb gleich.
    Es schien mir, als wäre dieser Mann nicht allein; neben ihm ging noch jemand und geleitete ihn durch die Dunkelheit. Wie soll ich es erklären? Manchmal sah ich nur einen, dann waren es auf einmal wieder zwei.
    Als ich versuchte, stehen zu bleiben und die Lage zu überdenken, musste ich feststellen, dass ich das nicht konnte. Ehrlich, Haki ya Mungu. Und schließlich fand ich mich draußen im Grasland wieder. Fragt mich nicht, wie ich dort hingekommen bin –

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