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Herr der Krähen

Herr der Krähen

Titel: Herr der Krähen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ngugi wa Thiong
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seinem oder ihrem Rücken eine machtvolle Stimme:
    ‚Ich bin der Herr der Krähen: Wer steht da unter dem Schatten meines Zaubers? Wie kannst du es wagen, in meinen magischen Kreis einzudringen? Verschwinde und wasch dir erst einmal die Füße, bevor du …‘
    Ich wartete nicht ab, was danach kam. Zum zweiten Mal rannte ich um mein Leben.“

12
    Sogar Nyawĩra war zunächst von der dröhnenden Stimme überrascht. Doch als sie sah, wie der Polizist zusammenzuckte, strammstand, salutierte und dann die Beine unter den Arm nahm, fiel ihr wieder ein, was dieser Polizist in der vergangenen Nacht getan hatte, und sie bog sich vor Lachen.
    „Ist er weg?“, fragte Kamĩtĩ.
    „Wie ein Pfeil davongeflitzt. Wie ist dir das denn so schnell eingefallen?“
    „Ich weiß auch nicht. Ich wollte nur Zeit gewinnen, damit wir uns eine plausible Geschichte ausdenken können. Aber das war wohl ein bisschen unüberlegt.“
    „Wieso?“
    „Ich habe ihn vor die Wahl gestellt, wiederzukommen oder nicht. Ich hätte ihm eher befehlen sollen, niemals wiederzukehren, sonst … oder irgendetwas in der Art.“
    „So, wie der davongerannt ist, machte er kaum den Eindruck, als würde er sich bald wieder hierher trauen.“
    Nyawĩra ging in die Küche und machte Tee und Rührei mit Brot. Sie stellte ihr Essen zum Abkühlen auf die Seite, während sie sich fertig machte, um zur Arbeit zu gehen. Sie war gespannt, was Tajirika über den Empfang für die Global Bank und die Kundgebung der Bettler vor den Toren des Paradise zu berichten hatte.
    Nyawĩras Vorbereitungen holten Kamĩtĩ aus seiner Furcht vor der Polizei. Das Gesicht in die Hände gestützt, achtete er nicht weiter auf das Frühstück und brütete über seinem persönlichen Unglück. Es war, als hätte er geträumt, ein selbst gekochtes Essen bekommen und auf einer bequemen Couch geschlafen zu haben. Er war aufgewacht und hatte ein üppiges Frühstück vorgefunden, und das alles in einer Atmosphäre von Wärme und Heiterkeit. Und plötzlich war dieser Traum zu Ende. Die einfache, aber brutale Wirklichkeit holte ihn ein. Es war noch sehr früh am Morgen, und er hatte keine Ahnung, was er tun oder wo er seine tägliche Arbeitssuche beginnen sollte.
    Nyawĩra war inzwischen fertig und kam zum Frühstücken in die Küche zurück. Zwischen Küche und Wohnzimmer gab es ein kleines Fenster, durch das man Teller, Pfannen oder Tassen von einem Raum in den anderen reichen konnte. Sie öffnete es und sprach durch die Öffnung zu Kamĩtĩ.
    „Dein Frühstück wird kalt. Soll ich es dir aufwärmen?“
    „Nein, danke. Ich esse es so“, antwortete er und blickte kurz zu ihr hinüber.
    Von ihrem Platz aus konnte Nyawĩra ihn mit gesenktem Kopf sitzen sehen.
    „Ich gehe ins Büro, um herauszubekommen, was sich im Paradise alles zugetragen hat“, sagte sie mit der Absicht, ihn von seiner Niedergeschlagenheit abzulenken. „Und was hast du vor?“
    „Ich habe keine Pläne. Kann ich noch ein paar Stunden hierbleiben, bevor ich mich auf den Weg mache? Es ist noch zu früh, um es mit den Tajirikas dieser Welt aufzunehmen. Es könnte passieren, dass ich ihm den Hals umdrehe“, sagte er und gab sich Mühe, ebenso unbeschwert zu klingen wie sie.
    „Und wirst wegen Mordes aufgeknüpft? Das werde ich nicht zulassen“, erwiderte sie im selben Tonfall. „Wenn es dein Leben rettet, noch ein paar Stunden hierzubleiben, dann überleg dir, was dir ein ganzer Tag bringen würde! Im Ernst, warum nimmst du dir nicht einen Tag frei? Du bist herzlich zu einer weiteren Nacht auf der Couch eingeladen.“
    „Nein. Ein paar Stunden reichen schon. Aber Danke für das Angebot. Ich werde deine liebenswürdige Aufnahme nie vergessen“, sagte er mit trauriger Stimme.
    „Nicht der Rede wert“, antwortete sie. „Hast du nicht behauptet, Glück oder Unglück, beides käme von Gott? Dann danke also Gott und nicht mir“, versuchte sie ihn aus seinem Selbstmitleid zu holen.
    „Gottes Wege, seine Wunder zu vollbringen, sind unergründlich“, sagte Kamĩtĩ, erneut bemüht, sich ihrem unbeschwerten Ton anzupassen. „Er hat dich als sein Werkzeug benutzt, um mir zu helfen. Also bin ich dir dankbar, dass du ein williges Werkzeug seines Willens warst. Und wer weiß, vielleicht komme ich ja eines Tages wieder mal in den Büros von Eldares Modern Construction and Real Estate vorbei.“
    „Zu einem weiteren Vorstellungsgespräch?“, zog sie ihn auf.
    „Nein! Nein! Um deine Einladung zum Mittagessen einzulösen. Ich mag

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