Herr der Krähen
Schädelkammer waren, die vor langer Zeit, vor dem fatalen Besuch in Amerika und vor irgendwelchem Geschwätz über seine Krankheit, zu einem Gerücht geführt hatten, das sich schnell überall verbreitete. Wann immer zwei oder drei Menschen zusammenkamen, betraf die allererste Frage das Gerücht: Kannst du das glauben? Wusstest du, dass der Herrscher den Teufel anbetet und dass er Satan, seinen Herrn und Meister, im Namen einer Schlange anruft?
Das Gerücht über die Verehrung von Teufel und Schlange schlug in ganz Aburĩria Wurzeln, gerade als eines der ehrgeizigsten Programme im Entstehen war, die je zum Geburtstag eines Herrschers unternommen wurden.
6
Jeder im Land wusste also das eine oder das andere über den Geburtstag des Herrschers, denn bevor er unverrückbar im nationalen Kalender festgeschrieben wurde, hatte es über sein Geburtsdatum und die Art, wie dieser Tag gefeiert werden sollte, eine hitzige Parlamentsdebatte gegeben, die sieben Monate, sieben Tage, sieben Stunden und sieben Minuten gedauert hatte. Selbst dann hatten sich die ehrenwerten Abgeordneten noch nicht zu einer Entscheidung durchringen können, weil niemand das genaue Geburtsdatum des Herrschers kannte, und als sie keinen Ausweg mehr wussten, sandten die ehrenwerten Abgeordneten eine Delegation direkt zum Sitz der Macht, um weisen Ratschlag einzuholen. Nachfolgend schickten sie dem Herrscher dann eine Dankbarkeitsnote, weil er der Kammer geholfen hatte, die Lösung für ein Problem zu finden, das ihre versammelte Erfahrung und ihr geeintes Wissen überstieg. Die Geburtstagsfeierlichkeiten sollten von nun an immer in der siebten Stunde des siebten Tages im siebten Monat des Jahres beginnen, weil sieben die heilige Zahl des Herrschers war. Und gerade weil in Aburĩria der Herrscher die Abfolge der einzelnen Monate bestimmte – der Januar konnte zum Beispiel mit dem Juli den Platz tauschen – verfügte er demzufolge über die Macht, jeden Monat eines Jahres zum siebten Monat zu erklären, und jeden beliebigen Tag in diesem Monat zum siebten Tag und damit zu seinem Geburtstag. Dasselbe galt für die Uhrzeit. Jede Stunde konnte, ganz nach den Wünschen des Herrschers, zur siebten Stunde werden.
Diese jährlichen Jubelfeiern waren immer unterschiedlich gut oder schlecht besucht, aber in diesem besonderen Jahr war das Stadion fast voll, weil die Bürger durch eine Sondermeldung neugierig geworden waren, die unablässig durch die Medien gegangen war. Es sollte einen ganz besonderen Geburtstagskuchen geben, den das gesamte Land für seinen Herrscher gebacken hatte und den er vielleicht vermehren würde, um – wie einst Jesus mit den fünf Broten und den beiden Fischen – die Massen zu speisen. Die Aussicht auf Kuchen für die Massen mag erklären, warum so viele Kwashiorkor-Kranke anwesend waren.
Die Feierlichkeiten begannen zur Mittagszeit und waren auch noch am Spätnachmittag in vollem Gange. Die Sonne trocknete den Menschen die Kehlen aus. Der Herrscher, seine Minister und die Führer der Ruler’s Party, die sich allesamt unter einem Baldachin befanden, netzten sich die Zungen mit kühlem Wasser. Die Bürger, denen weder Baldachin noch Wasser zur Verfügung standen, lenkten sich von den brennenden Sonnenstrahlen ab, indem sie beobachteten, was auf der Bühne vor sich ging. Sie machten Bemerkungen über die Kleider, die die Würdenträger trugen, wie sie sich bewegten oder welchen Platz der Einzelne im Verhältnis zum Zentrum der Macht zugewiesen bekommen hatte.
Unmittelbar hinter dem Herrscher stand ein Mann, der einen Stift von der Dicke eines zollstarken Wasserschlauches in der Rechten hielt und ein riesiges, in Leder gebundenes Buch in der Linken. Weil er ständig schrieb, dachten die Leute, er sei von der Presse, auch wenn sich einige fragten, warum er dann nicht auf der Pressetribüne Platz genommen hatte. Neben diesem saßen die vier Söhne des Herrschers – Kucera, Moya, Soi und Runyenje – und tranken beflissen aus Flaschen mit der Aufschrift „Diät“.
Neben den Söhnen saß Dr. Wilfred Kaboca, der Leibarzt des Herrschers, und neben ihm die einzige Frau auf dem Podium, die schon dadurch auffiel, dass sie schwieg. Einige nahmen an, sie sei eine Tochter des Herrschers, stellten sich dann aber die Frage, warum sie sich nicht mit ihren Brüdern unterhielt. Andere mutmaßten, sie sei Dr. Kabocas Frau. Warum aber herrschte dann dieses Schweigen zwischen den beiden?
Dem Herrscher zur Rechten saß der Außenminister in
Weitere Kostenlose Bücher