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Herr des Chaos

Herr des Chaos

Titel: Herr des Chaos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Jordan
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irgendeines Adligen enthalten hatte. Sie enthielt lediglich klares Wasser, genau wie der blau glasierte Krug. Doch als sie ihr Gesicht befeuchtete, war das Wasser leider nicht mehr kühl zu nennen. Ihr Blick traf den ihrer eigenen Augen, die ihr aus einem kleinen Spiegel mit vergoldetem Rahmen an der Zeltwand entgegensahen, und ihre Wangen liefen rot an.
    »Also, was hast du denn geglaubt, was geschehen würde?« flüsterte sie. Für möglich hätte sie es nicht gehalten, aber die Wangen ihres Spiegelbilds färbten sich noch dunkler rot.
    Es war schließlich nur ein Traum gewesen, nicht wie sonst in Tel'aran'rhiod, wenn das, was im Traum geschehen war, beim Erwachen noch immer reale Auswirkungen zeigte. Doch sie erinnerte sich an jede Einzelheit, als sei es Wirklichkeit gewesen. Sie glaubte, ihre Wangen müßten beinahe Feuer fangen. Nur ein Traum, und überdies noch Gawyns Traum. Er hatte kein Recht, auf diese Weise von ihr zu träumen.
    »Es war alles seine Schuld«, berichtete sie ärgerlich ihrem Spiegelbild. »Nicht meine! Ich hatte schließlich keine Wahl!« Reuevoll schloß sie den Mund. Einem Mann seine Träume vorwerfen. Und wie eine dumme Gans mit einem Spiegel sprechen.
    Sie blieb an der Zeltklappe stehen und bückte sich, um hinauszuspähen. Ihr niedriges Zelt befand sich am Rand des Aiellagers. Die grauen Mauern Cairhiens erhoben sich etwa zwei Meilen westlich über die kahlen Hügel. Zwischen dem Lager und der Stadt lag nichts als versengter Boden, wo einst das Vortor einen dicht bewohnten Ring um die Stadt gebildet hatte. Alles war im Schein der Morgensonne scharf umrissen und klar, so daß es noch nicht sehr spät sein konnte, und doch eilten die Aiel bereits geschäftig zwischen den Zelten einher.
    Heute würde sie nicht früh aufstehen. Nach einer ganzen Nacht außerhalb ihres Körpers - ihre Wangen liefen erneut rot an; Licht, würde sie den Rest ihres Lebens über eines Traums wegen erröten? Sie fürchtete es fast - hatte sie es wohl verdient, bis zum Nachmittag zu schlafen. Der Duft nach heißem Haferbrei konnte es mit ihren schweren Augenlidern nicht aufnehmen.
    Träge schlich sie zu ihren Decken zurück und ließ sich schwer darauffallen, wobei sie sich die Schläfen rieb. Sie war sogar zu müde, um sich noch Tee aus Schlafgut-Wurzel zu bereiten, aber in diesem Zustand war es ohnehin egal, und sie brauchte die Hilfe nicht. Der dumpfe Kopfschmerz ließ gewöhnlich nach etwa einer Stunde nach, also würde sie beim Erwachen nichts mehr davon spüren.
    Alles in allem war es keine Überraschung, wenn sie von Gawyn träumte. Manchmal wiederholte sie sogar einen seiner Träume, wenn auch nicht ganz genau, denn in ihren Versionen kamen gewisse anstößige Dinge nicht vor oder wurden von ihr geflissentlich übergangen, Gawyn verbrachte dann erheblich mehr Zeit damit, ihr Gedichte darzubringen und sie in den Armen zu halten, während sie Sonnenaufgänge oder -Untergänge beobachteten. Er stotterte auch keineswegs, wenn er ihr sagte, daß er sie liebe. Und er sah so gut aus wie in Wirklichkeit. Andere Träume waren ganz und gar ihre eigenen. Zarte Küsse, die eine Ewigkeit lang dauerten. Er kniete vor ihr, und sie nahm seinen Kopf in beide Hände. Zweimal, und zwar gleich hintereinander, träumte sie davon, ihn an den Schultern zu packen und zu versuchen, ihn gegen seinen Willen umzudrehen. Einmal schob er ihre Hände grob beiseite, während sie beim zweiten Mal etwas stärker war als er. Die beiden Träume überlagerten sich ein wenig in ihrem Gedächtnis. In einem weiteren machte er sich daran, eine Tür vor ihrer Nase zu schließen, und sie wußte: sobald der immer enger werdende lichterfüllte Spalt sich schloß, mußte sie sterben.
    Die Träume überschlugen sich in ihrem Kopf. Nicht alle handelten von ihm, und die meisten waren Alpträume.
    Perrin kam und stand vor ihr. Zu seinen Füßen lag ein Wolf, und in seine Schultern hatten sich ein Habicht und ein Falke festgekrallt die sich über seinen Kopf hinweg zornig anfunkelten. Er bemerkte die beiden offensichtlich nicht und versuchte immer wieder, diese Axt wegzuwerfen, bis er schließlich wegrannte, und die Axt schwebte durch die Luft und verfolgte ihn. Wiederum Perrin: Er wandte sich von einem Kesselflicker ab und rannte weg, immer schneller, obwohl sie ihm zurief, er solle zurückkommen. Mat sagte Worte in einer seltsamen Sprache, die sie beinahe verstand - sie glaubte, es müsse sich um die Alte Sprache handeln -, und zwei Raben setzten sich

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