Herr des Chaos
Andeutungen gemacht wurden, aber diesmal war sie nahe daran gewesen. Asha'man. Die Schwarze Burg. Mazrim Taim! Wie hatte es so weit kommen können? Aber Alanna war sich sicher, daß sie über mehr als hundert Mann verfügten, obwohl sie natürlich keine Einzelheiten darüber preisgab, woher sie es wußte. Keine Schwester gab freiwillig ihre Augen-und-Ohren preis. Es war nicht wichtig. »Wenn du zwei Hasen gleichzeitig verfolgst, werden dir beide entkommen«, besagte ein altes Sprichwort, und al'Thor war wichtiger als alle anderen.
»Ist er noch immer hier, oder ist er schon wieder fort?« Verin und Alanna schienen es sehr ruhig aufzunehmen, daß al'Thor offensichtlich das Schnelle Reisen beherrschte. Das machte Merana ein wenig mißmutig. Was hatte er sich noch beigebracht, was die Aes Sedai vergessen hatten? »Alanna? Alanna!«
Die Grüne Schwester schrak zusammen und faßte sich rasch wieder. Sie schien recht häufig abzuschweifen. »Er ist in der Stadt. Im Palast, glaube ich.« Sie klang noch immer ein wenig verträumt. »Es war... Er hat eine Wunde an der Seite. Eine alte Wunde, die aber erst halbwegs verheilt ist. Ich könnte jedesmal weinen, wenn ich nur daran denke. Wie kann er damit leben?«
Seonid sah sie aufmerksam an. Jede Frau, die einen Behüter hatte, spürte seine Verletzungen. Und sie wußte, was Alanna durchmachte, da sie Owein verloren hatte. Daher klang ihre Stimme, als sie sprach, fast sanft. »Nun, Teryl und Furen haben Verletzungen erlitten, die mich fast in eine Ohnmacht getrieben haben, auch wenn wir diese Verletzungen nur leicht spüren. Aber es wurde niemals weniger. Niemals.«
»Ich glaube«, sagte Masuri ruhig, »wir schweifen ab.« Sie sprach stets ruhig, aber auch immer, im Gegensatz zu vielen anderen Braunen, sehr überlegt.
Merana nickte. »Ja. Ich habe erwogen, Moraines Platz bei ihm einzunehmen...«
Es klopfte an der Tür, und eine Frau mit einem Teetablett trat ein. Darauf standen eine silberne Teekanne und Porzellantassen. Die Rosenkrone war an Adel gewöhnt. Als die Frau das Tablett abgestellt hatte und wieder gegangen war, träumte Alanna nicht mehr. Ihre dunklen Augen blitzten mit einer Leidenschaft, die Merana niemals zuvor darin gesehen hatte. Grüne waren besonders eifersüchtig auf ihre Behüter, und al'Thor gehörte jetzt ihr, wie auch immer sie sich ihm zugeschworen hatte. Die Achtung verlor sich, wenn es darum ging. Merana wartete noch, bis der Hagebuttentee eingegossen war und jedermann wieder saß. Sie befahl sogar Verin und Alanna, sich hinzusetzen. Vielleicht kam ihre Handlungsweise einem Vergehen doch nicht so nahe.
»Ich habe es erwögen«, fuhr sie schließlich fort, »und wieder verworfen. Ich hätte es vielleicht getan, wenn Ihr nicht nach Eurem Gutdünken gehandelt hättet, Alanna, aber er ist den Aes Sedai gegenüber jetzt so mißtrauisch, daß er mir vielleicht sehr wohl ins Gesicht lachen könnte, wenn ich es ihm vorschlüge.«
»Er ist genauso hochmütig wie jeder andere König«, sagte Seonid verächtlich.
»Er ist alles, was Elayne und Nynaeve gesagt haben, und mehr«, fügte Masuri kopfschüttelnd hinzu. »Er behauptet zu wissen, wann eine Frau die Macht lenkt. Ich hätte Saidar fast umarmt, um ihm zu zeigen, daß er sich irrt, aber natürlich hätte ich ihn zu sehr beunruhigen können.«
»Alle diese Aiel.« Seonids Stimme klang angespannt. Sie war wahrhaftig Cairhienerin. »Männer und Frauen. Ich denke, sie hätten uns aufzuspießen versucht, wenn wir auch nur zu schnell geblinzelt hätten. Eine blonde Frau, die zumindest Röcke trug, gab sich keine Mühe, ihre Abneigung zu verbergen.«
Manchmal, dachte Merana, erkannte Seonid gar nicht, daß al'Thor selbst in Gefahr sein könnte.
Alanna kaute unbewußt wie ein Kind auf der Unterlippe. Es war gut, daß Verin sich um sie kümmerte. Sie war in ihrem Zustand noch nicht fähig, allein zurechtzukommen. Verin trank nur ihren Tee und beobachtete. Verins Blicke konnten höchst beunruhigend sein.
Merana merkte, daß sie nachgiebiger wurde. Sie erinnerte sich zu gut an das zerbrechliche Nervenbündel, das sie nach Barans Tod gewesen war. »Glücklicherweise scheint sein Mißtrauen auch etwas Gutes zu haben. Er hat in Cairhien eine Abordnung Elaidas empfangen. Er hat recht offen darüber gesprochen. Das Mißtrauen wird ihn gewiß dazu veranlassen, sie auf Abstand zu halten.«
Seonid stellte ihre Tasse ab. »Er will uns gegeneinander ausspielen.«
»Und das könnte er noch immer tun«, sagte Masuri
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