Herr des Chaos
und sagte, es sei nicht sehr überzeugend.
Min ließ jedoch nur zu schnell von ihm ab, wenn eine Tochter des Speers den Kopf durch die Tür streckte, um jemanden anzukündigen, besonders wenn es Loial war, der niemals lange blieb und unentwegt von der Königlichen Bibliothek sprach, oder Perrin, der meist noch kürzer blieb und aus irgendeinem Grund zunehmend erschöpft wirkte. Aber am schnellsten sprang Min auf, wenn Faile zufällig dabei war. Die beiden Male, als das geschehen war, hatte sich Min hastig eines der Bücher genommen, die Rand in seinem Schlafraum aufbewahrte, hatte sich hingesetzt und vorgegeben zu lesen, wobei sie das Buch irgendwo in der Mitte aufgeschlagen hatte, als lese sie schon einige Zeit. Rand verstand die kühlen Blicke nicht, welche die beiden Frauen wechselten. Es war nicht wirklich Feindseligkeit oder auch nur Unfreundlichkeit, aber Rand vermutete, daß der Name der jeweils anderen ganz oben stünde, wenn beide eine liste derer anlegen sollten, mit denen sie lieber keine Zeit verbringen wollten.
Rand schmunzelte, als sich das Buch, das Min beim zweiten Mal gegriffen hatte, als ledergebundene Erstausgabe von Daria Gahands Abhandlungen über die Vernunft herausstellte, die er schwer verständlich gefunden hatte und zur Bibliothek zurückschicken wollte, sobald Loial das nächste Mal hereinschaute. Tatsächlich las Min noch eine Weile weiter, nachdem Faile gegangen war, und obwohl sie beim Lesen die Stirn runzelte und vor sich hin murmelte, nahm sie das Buch am Abend mit in ihre Räume im Gästetrakt.
Wenn auch zwischen Min und Faile kühle Gleichgültigkeit herrschte, war zwischen Min und Berelain keinerlei Feindseligkeit zu spüren. Als Somara am zweiten Nachmittag Berelain ankündigte, legte Rand seinen Umhang an, ging in den Vorraum und stellte den hohen, vergoldeten Stuhl aufs Podest, bevor er Somara befahl, sie hereinzulassen. Min begab sich jedoch nur widerwillig in den Wohnraum. Berelain rauschte herein, schön wie immer, in einem weichen blauen Gewand, das auch genauso tief ausgeschnitten war wie immer -und ihr Blick fiel auf Min in ihrem hellrötlichen Umhang und der gleichfarbigen Hose. Mehrere lange Augenblicke hätte Rand genausogut nicht vorhanden sein können. Berelain betrachtete Min offen von Kopf bis Fuß. Min vergaß den Wohnraum; sie stemmte die Hände in die Hüften, stand mit einem gebeugten Knie da und betrachtete Berelain genauso offen. Sie lächelten einander an. Rand glaubte, ihm stünden die Haare zu Berge, während sie dies taten. Er wurde an zwei fremde Katzen erinnert, die gerade entdeckt hatten, daß sie in demselben kleinen Raum eingesperrt waren und offensichtlich beschlossen hatten, daß es jetzt keinen Sinn mehr hatte, sich zu verstecken. Min ging - oder besser gesagt: schwebte; es gelang ihr tatsächlich, Berelains Gang wie den eines Jungen wirken zu lassen! - zu einem Sessel und setzte sich mit übereinandergeschlagenen Beinen und noch immer lächelnd hin. Licht, wie diese Frauen lächelten.
Schließlich wandte sich Berelain zu Rand um, breitete ihre Röcke weit aus und vollführte einen tiefen Hofknicks. Er hörte Lews Therin in seinem Kopf brummen, der den Anblick einer außerordentlich schönen Frau, die ihre Reize überaus großzügig darbot, genoß. Rand schätzte ebenfalls, was er sah, obwohl er sich fragte, ob er zumindest solange fortschauen sollte, bis sie sich wieder aufgerichtet hätte, aber er hatte sich bereits aus einem bestimmten Grund auf das Podest gestellt. Er versuchte, seine Stimme sowohl vernünftig als auch fest klingen zu lassen.
»Rhuarc hat angedeutet, daß Ihr Eure Pflichten vernachlässigt, Berelain. Anscheinend hieltet Ihr Euch tagelang in Euren Räumen verborgen, nachdem ich das letzte Mal hier war. Ich hörte, daß ein ernsthaftes Gespräch notwendig war, um Euch wieder hervorzulocken.« Es waren nicht genau Rhuarcs Worte, aber Rand hatte diesen Eindruck gewonnen. Ihre Wangen färbten sich karmesinrot, wodurch Rand sich bestätigt fühlte. »Ihr wißt, warum Ihr hier die Befehlsgewalt habt. Ich kann keine Cairhiener gebrauchen, die sich auflehnen, weil sie glauben, ich hätte ihnen einen Aiel vor die Nase gesetzt.«
»Ich war ... besorgt, mein Lord Drache.« Trotz des Zögerns und der geröteten Wangen klang ihre Stimme gefaßt. »Seit die Aes Sedai gekommen sind, sprießen die Gerüchte. Darf ich fragen, wer hier, Eurer Meinung nach, tatsächlich regieren soll?«
»Elayne Trakand. Die Tochter-Erbin von Andor und jetzt
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