Herr Lehmann: Herr Lehmann
laäuft schneller. Man selber wird langsamer, und deshalb kriegt man nicht mehr alles mit, was passiert. Also läuft die Zeit schneller."
Nix da, langsamer. Wenn man was getrunken hat, und um einen herum läuft alles schneller ab, dann liegt das daran, daß fiir einen selber die Zeit langsamer abläuft. Man selber hat mehr Zeit. Oder nimmt sich mehr Zeit. Wenn einer viel getrunken hat und er geht aufs Klo, dann braucht er vielleicht doppelt so lange, wie wenn er nuächtern ist. Das heißt, er nimmt sich mehr Zeit. Ünd das kann er nur, weil er mehr Zeit hat."
„Totaler Quatsch. Genau umgekehrt ist es richtig. Wenn man betrunken ist, dann erlebt man in derselben Zeit viel weniger. Man schafft also zum Beispiel in einer bestimmten Zeit auf dem Weg zum Klo nur drei Schritte, statt wie sonst sechs. Das heißt aber doch, daß die Zeit schneller gelaufen ist. Nehmen wir mal an, man braucht normalerweise fiir sechs Schritte drei Sekunden, und betrunken braucht man fiir sechs Schritte sechs Sekunden, dann ist bei derselben Sache die Zeit doppelt so schnell gelaufen, also ist finden Betrunkenen die Zeit doppelt so schnell."
Sie ist gut, dachte Herr Lehmann voller Respekt, sie ist gut. Ünd sie hat wahrscheinlich auch noch recht, dachte er.
„Moment, Moment", sagte er. „Das gilt aber nur, wenn man die Zeit als etwas Absolutes nimmt. So geht das aber nicht. Meiner Meinung nach ist das wie mit einer Sanduhr. Der nuächterne Sand rinnt schneller raus als der betrunkene Sand, und deshalb ist mit betrunkenem Sand die Zeit langsamer."
Betrunkener Sand?"
„Naja, jetzt mal metaphorisch gesprochen."
Also das ist jetzt aber wirklich eine bläode Metapher. Ich meine, wie kann man sich uber ein Wort wie Lebensinhalt aufregen, und dann mit betrunkenem Sand kommen, das ist doch Schwachsinn."
„Ist es nicht."
„Ist es wohl. Außerdem ist es, wenn wir dariber reden, wie fiir wen die
Zeit verläuft, in welchem Tempo und so weiter, vollig daneben, gleichzeitig den Begriff 'sich Zeit nehmen' ins Spiel zu bringen, das ist namlich was ganz anderes. Wenn der eine fuär sechs Schritte drei Sekunden braucht, der andere aber sechs Sekunden, dann verläuft fär den letzteren die Zeit schneller, weil schon sechs Sekunden um sind, bis er etwas hingekriegt hat, was der andere in drei Sekunden schafft."
„Falsch, falsch, falsch. Das ist totaler Quatsch. Die Sekunden sind ja nicht absolut, sondern richten sich nach aäußeren Gegebenheiten. Sechs Schritte sind so oder so drei Sekunden. Drei nuchterne Sekunden fär den Nuchternen und drei betrunkene Sekunden fär den Betrunkenen, so sieht das aus. Deshalb ist das mit dem betrunkenen Sand nicht falsch, im Gegenteil. Wäahrend der Betrunkene sechs Schritte geht, vergehen fär ihn drei betrunkene Sekunden, während gleichzeitig fur den Nächternen, der vielleicht am Zigarettenautomaten steht, waährend der Betrunkene seine Schritte macht, sechs Sekunden vergehen. Darum läuft fur den Betrunkenen die Zeit langsamer als fär den Nuächternen. Er hat eine andere Zeit als der Nuächterne. Wenn man diese beiden Zeiten, die nuächterne und die betrunkene, miteinander vergleicht, dann geht die Zeit fur den Betrunkenen eindeutig langsamer."
Sie laächelte. Die Sache schien ihr zu gefallen. Sie hat Feuer gefangen, sie steht auf so was, dachte Herr Lehmann, das ist gut. Er war sehr verliebt.
Das ist unlogisch", sagte sie. Je schneller jemand ist, desto langsamer vergeht die Zeit. Das ist wie mit einer Eintagsfliege. Fär die ist ein Tag das ganze Leben. Deshalb erwischt man die auch so schwer. Sie sieht deine Hand, die dir beim Zuschlagen schnell vorkommt, ganz langsam auf sich zukommen und kann deshalb ganz locker wegfliegen. Weil ihre Wahrnehmung schneller ist."
Du meinst, weil die Eintagsfliege eine schnellere Wahrnehmung hat, vergeht die Zeit fur sie langsamer."
Ja, natuärlich. Und nuächterne Leute sind schneller in der Wahrnehmung als betrunkene, also kriegen sie mehr mit, also haben sie mehr von der Zeit, also vergeht die Zeit fur die nuchternen Leute langsamer."
Vielleicht hat sie recht, dachte Herr Lehmann fasziniert, vielleicht aber auch nicht. Er beschieß, den Notausgang zu nehmen. „Und warum lebt die Eintagsfliege dann nur einen Tag?" fragte er.
„Haha. Willst du jetzt etwa sagen, daß Betrunkene langer leben?"
„Das wäre eine Mäglichkeit."
Ich glaube, du bist väollig bescheuert."
„Kann schon sein."
„Macht ja nichts."
„Nein, irgendwie nicht."
„Dann ist ja
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