Herr Lehmann: Herr Lehmann
der schon Jahre zuräcklag, gegen ein Pfand von 20 Mark und eine Leihgebähr von 50 Pfennig am Einlaß erworben hatte. Das alles stopfte er, immer noch ganz benebelt von Schlaf und Traum, in eine Plastiktute, zog sich ein T-Shirt uäber und ging hinunter auf die Straße. Auf dem Weg zur U-Bahn hielt er sich im Schatten und kam an allen Schnorrern vorbei, ohne ein einziges Mal angesprochen zu werden, was ihm einiges daruäber verriet, welchen Eindruck er in seinem jetzigen Zustand auf seine Ümwelt machte. Als er oben auf dem Bahnsteig auf die Ü-Bahn wartete, wurde ihm sogar leicht öbel, und er spielte mit dem Gedanken umzukehren, aber dann kam die Ü-Bahn und nahm ihm die Entscheidung ab.
Das ist genau so ein Tag, an dem man auf keinen Fall ins Prinzenbad fahren sollte, dachte Herr Lehmann mißmutig, waährend die Linie l so langsam und öde, wie er es von ihr gewohnt war, in Richtung Prinzenstraße zuckelte, da sind jetzt riesige Schlangen vor der Kasse und dann steht man in der prallen Sonne, dachte er, und die Schweine von Dauerkartenbesitzern draängeln sich vor, was jetzt aber ungerecht gedacht ist, denn die Dauerkartenbesitzer draängeln sich nicht vor, sie muässen bloß nicht an der Kasse stehen, was nur logisch und gerecht ist, dachte Herr Lehmann, der denselben Gedanken schon damals, bei seinem ersten (und letzten und einzigen) Besuch im Prinzenbad, gedacht hatte, wie ihm jetzt einfiel, ein Besuch, der nicht seine eigene Idee gewesen war, sondern auf eine damalige Freundin zuriickging, die der Meinung gewesen war, er brauchte ein bißchen Bewegung, und Schwimmen sei öberhaupt sehr gesund. Schwimmen ist das Gesundeste, was es gibt, hatte sie gesagt, sie war so eine Dauerkartenbesitzerin gewesen, genau wie sein bester Freund Karl, und sie hatte schon 1000 Meter abgeschwommen, bevor Herr Lehmann uberhaupt durch die Kasse gekommen war. Ihr Name war Birgit gewesen, und sie war ungefäahr zwei Wochen lang mit ihm gegangen, oder wie immer man das nennen sollte, dachte Herr Lehmann, jedenfalls hatte er das geglaubt, wohingegen sie nach diesen zwei Wochen behauptet hatte, sie waären uäberhaupt nie richtig zusammen gewesen, vielmehr sei sie die ganze Zeit eigentlich immer noch mit ihrem vorherigen Freund zusammengewesen, so hatte sie das genannt, zusammen sein, dachte Herr Lehmann, sie hatte immer zusammen sein gesagt, auch eine zweifelhafte Wortwahl, wenn man mal so daruäber nachdenkt, dachte Herr Lehmann, mit genau jenem vorherigen Freund, von dem sie noch eine Woche vorher ungefragt geschworen hatte, da sei gar nichts mehr, sie sei jetzt mit Herrn Lehmann zusammen, worauf Herr Lehmann im Grunde gar keinen großen Wert gelegt hatte, denn, erinnerte er sich, als er an diese Birgit denkend am Ü-Bahnhof Prinzenstraße aus der Ü-Bahn trat, er hatte, da muß man ehrlich sein, dachte er, nur ihren Körper gewollt.
Sie hat aber auch einen besonders schäonen Koärper gehabt, dachte er, als er aus dem Ü-Bahnhof heraus in das gleißende Sonnenlicht trat, die Skalitzer Straße uberquerte und sich die letzten 50 Meter zum Prinzenbad schleppte, und vielleicht, dachte er, als er zur Kasse des Prinzenbads ging und einmal" sagte und „keinesfalls" auf die Frage, ob er Student sei, und dafiir eine Karte bekam, die ihm sofort wieder abgenommen wurde von einem Mann in weißen
Shorts, Badelatschen und sonst nichts, vielleicht ist Schwimmen ja wirklich gesund, obwohl andererseits, dachte er, wieso soll gerade Schwimmen gesund sein, wenn man die Menschen hier so sieht, dachte er, als er das Schwimmbad betrat, dann machen die nicht gerade einen sehr gesunden Eindruck, dachte Herr Lehmann, und dann fiel ihm erst auf, daß es an der Kasse uäberhaupt keine Schlange gegeben hatte, aber er wußte in diesem Moment natuärlich auch schon, warum das so war: Es konnte uäberhaupt niemand mehr draußen anstehen, weil alle schon drin waren.
Und wenn er 'alle' dachte, dann meinte er in Gedanken auch alle. Es war ein unglaubliches Gewusel und ein phantastischer Läarm um ihn herum, und Herr Lehmann blieb einige Zeit verwirrt in der Naähe des Eingangs stehen, um sich uberhaupt erst einmal zu orientieren. Er mochte es nicht, sich irgendwo bewegen zu muässen, wo er sich nicht auskannte, und das allgemeine Gewimmel verwirrte ihn sehr, ihm wurde sofort bewußt, daß er nicht richtig dazugehorte. Überall liefen Leute herum, halbnackte Menschen jeden Alters und Geschlechts stapften durch Fußwaschbecken oder duschten sich darin stehend
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