Herr Lehmann: Herr Lehmann
wehrloses Tier!"
Wehrlos? Ha!" empoärte sich Herr Lehmann. Das war Notwehr, ich hatte keine Wahl und so." Er war viel zu mäde, um das genauer zu erklären. „Das war Notwehr. Ging nicht anders. Punkt", sagte er. „Ganz klare Sache. Kein Thema."
Die Polizisten glaubten ihm nicht. Sie wollten seinen Ausweis sehen und nahmen seine Personalien auf.
So, Herr Lehmann!" sagte der aältere von beiden, als er ihm seinen Ausweis zuräckgab. „Sie hären von uns. Und jetzt machen Sie, daß Sie nach Hause kommen. Den Hund nehmen wir mit, den sehen Sie nie wieder. Tierquäalerei ist das, ich habe selbst einen Hund, eine Schande ist das."
Hoffentlich" , sagte Herr Lehmann.
Hoffentlich was?"
„Seh ich den nie wieder."
Hauen Sie ab, aber ganz schnell, bevor ich mich vergesse!"
Herr Lehmann ging mäden Schritts davon. Am Eingang der Eisenbahnstraße schaute er sich noch einmal um und sah, wie die beiden Polizisten das fette Tier zu ihrem Wagen schleppten.
„Armer Kerl", härte er den einen sagen. Dann erwachte der Hund aus seiner Lethargie und biß zu. Herr Lehmann ging schnell weiter und lachte erst, als er um die Ecke war.
Kapitel 2 MUTTER
„Frank, bist du das? Du klingst so komisch. Es hat so lange geklingelt, bis du rangegangen bist, da hab ich schon gedacht, du bist gar nicht da. Ich wollte schon wieder auflegen."
Herr Lehmann liebte seine Eltern. Er war ihnen fuär vieles dankbar, und sie lebten weit weg von Westberlin, in Bremen, das ergab einen Abstand von zwei Staatsgrenzen und einigen hundert Kilometern. Was er auch sehr an ihnen schaätzte, war die Tatsache, daß sie niemals im Leben auf die Idee kämen, ihn mit Herr Lehmann anzusprechen. Das einzige Problem mit ihnen war: Sie standen gerne friih auf und riefen gerne friih an.
Mutter!" sagte Herr Lehmann.
„Ich wollte schon wieder auflegen."
Warum, dachte Herr Lehmann, hast du es nicht getan. Ich, dachte Herr Lehmann, der sich auf seine Rucksichtnahme, die Bedärfnisse anderer Menschen betreffend, durchaus etwas zugute hielt, hätte es getan. Genauer gesagt, dachte Herr Lehmann, haätte ich es vor allem nicht dreißigmal klingeln lassen, damit geht's doch schon mal los, dachte er. Funfmal, das ist okay, zumal die meisten Leute Anrufbeantworter haben, die nicht ohne Grund schon nach vier- oder fänfmaligem Klingeln anspringen, dachte Herr Lehmann und bedauerte, daß er sich noch immer nicht ein solches Gerät angeschafft hatte, aber der Gedanke, zu Karstadt am Hermannplatz, also im Grunde nach Neukäolln zu gehen, um so etwas zu kaufen, war ihm zutiefst zuwider.
Frank, bist du noch da?"
Herr Lehmann seufzte.
Mutter" , sagte er, Mutter. Es ist . . . ", Herr Lehmann, der schon lange keine funktionierende Uhr mehr brauchte, weil er ein ausgezeichnetes Zeitgefähl entwickelt hatte und im Notfall immer noch auf offentliche Uhren oder die telefonische Zeitansage zuruäckgreifen konnte, dachte kurz nach, „... hochstens zehn Uhr! Wenn du doch weißt, daß ich nachts ..."
„Schon Viertel nach zehn, da schläft man doch nicht mehr, da wundere ich mich schon, daß du noch schläfst, ich bin schon seit sieben auf den Beinen", sagte seine Mutter auf eine so auftrumpfende Weise, daß sich Herr Lehmann, der sich eigentlich fiir einen durchweg ausgeglichenen Menschen hielt, dessen Temperament sich mit den Jahren abgelagert hatte wie der Griselkram in altem, teurem Rotwein, zu einer scharfen Gegenreaktion provoziert sah.
Warum?" fragte er.
Ich wollte schon wieder auflegen, aber dann habe ich gedacht, das kann ja nicht sein, daß du schon aus dem Haus bist, du arbeitest doch immer so spät."
Eben, Mutter, eben", sagte Herr Lehmann, fest entschlossen, diesen seiner Erfahrung nach typisch muätterlichen Versuch, einer Frage auszuweichen, nicht durchgehen zu lassen. Aber das war nicht die Frage, Mutter!"
Welche Frage denn?" kam es aärgerlich zuruäck.
„Warum, Mutter. Ich fragte: Warum? Warum bist du seit sieben Ühr auf den Beinen?"
„So ein Quatsch, das mache ich doch immer."
Ja, aber warum?" konterte Herr Lehmann.
Was meinst du jetzt damit, warum?"
Mutter!" Herr Lehmann hatte Oberwasser. Sie hoärt mir zu, dachte er befriedigt, sie reagiert statt zu agieren, dachte er, sie ist jetzt in der Defensive, da heißt es nicht locker lassen, nachfassen, den Sack zumachen, die Sache zu einem befriedigenden Abschluß bringen, sie ein ftir allemal aus der Welt schaffen, klare Verhaältnisse auch und so weiter . . . Leider hatte er daruäber ein bißchen den
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