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Herr Mozart wacht auf: Roman (German Edition)

Herr Mozart wacht auf: Roman (German Edition)

Titel: Herr Mozart wacht auf: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Baronsky
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durcheinandergeraten. Ich selbst kenne mich nicht mehr recht aus.« Er versuchte, in Piotrs Miene zu lesen. »Ich versichere, du würdest mit deiner Gastfreundschaft mir wahrlich einen übergroßen Dienst erweisen und dem Herrgott recht zum Gefallen sein.«
    Piotrs Blick wanderte am Fußboden entlang. »Hast du Ärger mit Polizei?«
    »Gewiss nicht!«
    »Entschuldigung, hab ich nur gedacht … Siehst du aus wie …«
    »Ja, du magst recht haben, ich sehe wohl aus wie ein Landstreicher.« Wolfgang nickte. »Sei versichert, dass ich mir nichts habe zuschulden kommen lassen.« Bei dem Wort Schulden zog sich etwas in ihm zusammen. »Ich bin ein unbescholtener, rechtschaffener, ehrlicher Christenmensch, und mir steht nach nichts anderem der Sinn, als mich brav zu verhalten, mir den Bart zu rasieren und meine allerredlichste Arbeit zu tun und …«
    »Dann du kannst sagen, wo du kommst her.«
    Wolfgang zögerte, entdeckte ein Funkeln in Piotrs Augen. »Es mag indes schwer zu verstehen sein, ich … habe eine lange Reise hinter mir. Dorten, woher ich komme, hat alles ein wahrhaft verschiedenes Aussehen …« Er schwieg, vor ihm tauchten vertraute Bilder auf, sein Arbeitszimmer,die ebenholzschwarze Tastatur des Pianofortes, das beharrliche Pendel der Wanduhr. Für einen Augenblick glaubte er die Schläge einer Kutsche zu hören, unversehens mischten sich die Töne des Lacrymosa hinein. Rasch griff er an sein Herz.
    »Hm. Verstehe ich.« Piotrs Stimme brachte ihn wieder zurück. Der Geiger kaute auf seiner Unterlippe herum. »Hab ich erlebt genau so vor zwei Jahre.«
    »Du hast …« Wolfgangs Puls ging schneller. Er beugte sich so rasch nach vorne, dass die Kaffeetasse schwappte. »So bist du auch … O Piotr, tatsächlich?« Erleichtert lächelte er dem Geiger zu, der ihm plötzlich ein ganz andrer zu sein schien, ein Vertrauter. Weswegen mochte man ihn herbestellt haben? Seine musikalischen Fertigkeiten konnten kaum der Grund dafür sein. »Darf ich so frei sein zu fragen, welches das Jahr war, indem du … nun, ich meine …«
    Piotr hob die Schultern. »Bin ich gekommen vor zwei Jahren, 2004.«
    »Ich meinte, woher du kommst.«
    »Hab ich nicht gesagt, gestern Abend? Komme ich von Mrągowo, kleine Stadt in Masuren.«
    »Aber wann bist du geboren worden – zum ersten Mal?«
    »Zum ersten Mal?« Piotr lachte. »Bin ich geboren in April 1970.«
    »Nicht früher?«
    »Na, przyjaciel, hab ich noch nicht so viele Falten in Gesicht, oder?«
    Enttäuscht sank Wolfgang in sein Kissen. »Also schaust du auf sechsunddreißig Jahre zurück. Und immer recht ordentlich eines nach dem anderen?«
    Statt einer Antwort lachte Piotr wieder. »Bist du komische Vogel. Nun gut, ist Winter, ist Advent. Kannst du bleiben. Aber brauch ich Pianist bis Weihnachten, hab ich Engagements fast jede Abend.« Er sah Wolfgang fragend an.
    »Ich soll mit dir spielen? Mit Freuden! Sooft es dir beliebt.«
    Piotrs Gesicht klarte auf. »Aber darfst du keine Ärger machen. Ist Wohnung von Kollege, und hab ich keine Aufenthaltsgenehmigung.«
    Seufzend zog Wolfgang die Decke höher. Was auch immer eine Aufenthaltsgenehmigung war – im Zweifel hatte er selbst keine –, gegen das, was in diesem fremden Leben, in das man ihn geworfen hatte, alles auf ihn warten mochte, waren die Sorgen jenes Geigers sicher eine Kleinigkeit. Es war eine übergroße Ehre und Bürde, die man ihm als Compositeur hatte zuteilwerden lassen, und nun galt es, sich dieser Schuldigkeit würdig zu erweisen.
     
    »Darf ich die anschauen?«, fragte Wolfgang von seinem Lager herunter.
    »Klar.« Piotr griff nach einem Stapel Noten, der auf dem Boden lag. »Ist nichts Besonderes. Welche willst du? Diese hier?«
    »Alles, was sich findet. Mit Vorzug«, er zögerte, musste sich die Worte abringen, »wenn du denn solch alte Werke dein Eigen nennst, alles, das seit dem Jahre 1800 komponieret wurde. Und natürlich alles, was juste à la mode ist. Und ein wenig Notenpapier, damit ich mir Notizen machen kann.«
    »Ist viel neunzehnte Jahrhundert. Hier.« Piotr legte ihm den dicken Packen auf die Knie. Wolfgangs Fingerspitzen tasteten ehrfürchtig darüber, ihm war, als ginge etwas davon aus, eine Temperatur, aber er vermochte nicht zu sagen, ob es Wärme oder Kälte war. Zweihundert Jahre. Gänsehaut ließ seine Arme prickeln. Er wühlte zwischen den Papieren. Zweihundert Jahre.
    »Du kannst mir gewiss sagen, wer derzeit Hofcompositeur ist?«
    »Hofcompositeur? Was soll das sein?«
    Wolfgang

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