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Herr Mozart wacht auf: Roman (German Edition)

Herr Mozart wacht auf: Roman (German Edition)

Titel: Herr Mozart wacht auf: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Baronsky
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Ungestüm riss er eine Silberscheibe nach der anderen aus ihrem Kästchen, und nachdem er einige Knöpfe ausprobiert hatte, fand er sogar heraus, wie er die Musik jederzeit abbrechen und zu einem anderen Stück springen konnte, ganz nach Belieben vor und zurück, immer wieder. Fasziniert schüttelte er den Kopf, strich über die glänzenden Dinger, betrachtete dieKästchen und deren Aufschrift eingehender. In manchen waren ganze Büchlein darin, die Aufschluss gaben über Compositeur und Werk, in einer kargen, holprigen Sprache.
    Recht ordentliche Sachen fanden sich darunter, vor allem gefiel ihm ein ganz lyrisch-mildes Quintett eines gewissen Franz Schubert, an dem zu seiner Überraschung ein Contrabasso teilnahm. Wie apart! Sofern dieser Schubert noch unter den Lebenden weilte, würde er ihm umgehend depeschieren, ein Treffen arrangieren. Doch ein Blick auf dessen Lebensdaten beraubte ihn sofort der freudigen Aussicht. Armer Teufel, den hatte es noch jünger ereilt als ihn. Enttäuscht legte er das Kästchen zur Seite.
    Besonders viel schien Piotr von einem Menschen namens Frédéric Chopin zu halten, ganze fünf Scheiben waren ihm gewidmet. Dessen Harmonik war recht spannend, bedurfte indes der Eingewöhnung und, wie er fand, der Korrektur. Während er, mit zunehmender Ungeduld, einem Klavierkonzert dieses Menschen in e minor lauschte, inspizierte er Piotrs kleine Wohnung, befühlte die Stoffe seiner Kleider im Wandschrank und betrachtete das Arrangement zweier verblüffend naturgetreuer Portraits, die hinter einer Glasscheibe an der Wand hingen. Zwei Kinder waren auf dem einen zu sehen, auf dem anderen erkannte er Piotr neben einer blonden, herrisch wirkenden Frau; etwas Verlorenes lag in seinem Blick. Verdrossen kehrte Wolfgang zum Wandbord zurück und ließ die Musik weiterspringen. Herrje, das waren an die hundertfünfzig Takte Einleitung! Wie konnte ein Compositeur derart langatmig sein?
    »Leider verloren, der Herr Chopin«, sang Wolfgang, »wär er nicht so mü-hüsam, so reicht’ er fast an mich heran.« Nein, dieser Chopin mochte wohl fürs Klavier schreiben können, im Orchestersatz war er miserabel.
    Mit Unbehagen nahm er die spröden, schroffen Klänge eines Herrn van Beethoven in sich auf. Hatte er diesen Namen nicht schon einmal gehört? Seiner Musik nach musstedas ein recht ichsüchtiger Kerl sein, er schien sich einen blauen Teufel um Gegebenheiten zu scheren, keine Rücksicht auf sein Publikum zu nehmen. Eine widerlich zähe Wehmut stieg in ihm auf, und er spürte, dass es Neid war. »Wer zum Henker hat dich dafür bezahlt?«, rief er aus und wechselte rasch die Silberscheibe.
    Voll Freude über ein kapriziöses Plapperparlando bei einem gewissen Rossini, goss er sich Kaffee nach und betrachtete die Kaffeekanne. Wie hatte Piotr ganz ohne Herdstelle und Feuer Kaffee bereiten können? Gedankenverloren kauerte er sich wieder auf den Boden, fuhr fort, zwischen den Kästchen zu wühlen, hörte immer neue Stücke an, prägte sich die Werkbezeichnungen ein. Das war alles recht passabel, stellenweise sogar kühn, doch nach derart langer Zeit hatte er mehr erwartet. Von diesem Schubert abgesehen, konnte es keiner mit ihm aufnehmen. Kein Wunder, dass man ihn aufs Neue in den Dienst befohlen hatte!
    Seufzend streckte er die Beine aus und lehnte sich gegen die Wand, schreckte jedoch bald darauf zurück und wandte sich überrascht um. Sein Rücken war teuflisch heiß geworden, offenbar hatte er sich gegen einen Ofen gesetzt. Vorsichtig schnüffelte er an dem weißen Kasten, der unter dem Fenster angebracht war, konnte aber kein Feuer riechen und rückte ein Stück weiter. Fuhrwerke ohne Pferde, Öfen ohne Feuer, Musik ohne Instrumente, Kaffee ohne Herdstelle! Über welche Notwendigkeiten hatte man sich noch hinweggesetzt? Wie um Himmels willen sollte er sich mit alledem zurechtfinden? Warum in aller Welt hatte man ihm keinen dienstbaren Geist zur Seite gestellt, ihm beizustehen und ihm Anleitung zu geben?
    Die Körperfunktionen indes schienen noch ehernen Gesetzen zu gehorchen, er spürte Drang, Wasser abzuschlagen. Diesmal war jedoch kein Nachttopf zu finden, nicht unter Piotrs Bett, nicht in seinem Wandschrank und auch nicht vor dem Fenster. Er würde nach unten gehen und dasHäusel suchen müssen. Doch als er aufstand, durchfuhr ihn wieder der Schmerz in seinem Fuß. Kurzerhand zog er sich einen Stuhl vor die Brüstung, kletterte hinauf und pinkelte aus dem Fenster. Als er die Hose hochzog, vernahm er

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