Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Herr Mozart wacht auf: Roman (German Edition)

Herr Mozart wacht auf: Roman (German Edition)

Titel: Herr Mozart wacht auf: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Baronsky
Vom Netzwerk:
mit dem Ärmel über die Augen.
    Mit einem Ruck setzte er sich auf. Zu verlieren hatte er nichts, schlimmstenfalls warf man ihn aus dem Lokal, dann konnte er immer noch auf diesen Steinstufen festfrieren.
    Er blieb vor der Türe stehen, so nah, dass die Scheibe vor seiner Nase beschlug. Drinnen segelte ein Frauenzimmer vorüber. Dunkles, glänzendes Haar wallte über ihren Rücken, der Oberkörper war von eng anliegendem schwarzem Stoff bedeckt, der jede Wölbung nachzeichnete, darunter trug sie nichts als eine Art Lendenschurz, der knapp ein pralles Hinterteil verbarg. Eine Bacchantin! Wolfgang starrte auf ihre endlosen schimmernden Beine. Mit angehaltenem Atem betrat er das Lokal und bahnte sich einen Weg durch die Menge, den Blick unbeirrt auf die schönen Schenkel geheftet. Jählings prallte er gegen einen bulligen Rücken, ein Glas schwappte über, und Wein ergoss sich auf seinen Arm.
    »Verzeihung, bitte«, sagte Wolfgang hastig und rieb sich die Jacke. Die Umstehenden wichen zurück, er spürte ihre Blicke wie spitze Stöckchen, mit denen man ein totes Insekt hin und her wendet, um es näher zu betrachten, sah an sich herab, an der labbrigen Hose, dem schmuddeligen Wams. Da vernahm er die Geige und schaute erstaunt auf. Sie klang anders als auf dem Domplatz, verhalten, scheu, freudlos, und verstummte gleich darauf wieder. Eine weitere Entschuldigung murmelnd, drückte er sich an den Gästen vorbei, bis er den Geiger sehen konnte. Neben ihm stand wieder der Weißbeschürzte.
    »… unzuverlässig … gegen die Abmachung …«, hörte Wolfgang ihn auf den Musiker einsprechen, der mit leiser Stimme etwas erwiderte, das Wolfgang nicht verstand.
    »Nix is mit nächstes Mal!«, fauchte der Dicke, in dem Wolfgang den Wirt vermutete. »Wenn dein damischer Klavierspieler nicht sofort auftaucht, gibt’s kein nächstes Mal. Hast das kapiert?«
    Wolfgang sah von dem bleichen, versteinerten Gesicht des Geigers hinunter zu dessen Violine. Neben ihm stand ein schwarz poliertes Fortepiano. Es sah anders aus als die Instrumente, die er kannte, hatte keine Beine, vielmehr reichte der Korpus bis auf den Boden hinab. Auch schien es ihm fast um die Hälfte breiter, als er es gewohnt war. Das waren tatsächlich – ja, sieben ganze Oktaven, zwei mehr als üblich – welch ungeahnte Möglichkeiten boten sich hier! Ohne zu zögern, ging er darauf zu und nahm auf dem Schemel Platz.
    »Ich ersuche allerhöflichst, meinen Verzug zu entschuldigen, welcher gewiss die Ursache ist für die Unannehmlichkeiten«, sagte er so laut, dass der Wirt überrascht herumfuhr.
    Wolfgang langte in die Klaviatur, ließ einen Akkord erklingen, einen zweiten dann, stutzte, hielt inne und starrte auf seine Hände. Erstaunt schlug er ein paar einzelne Töne an, kadenzierte schließlich einmal über die gesamte Breite des Klaviers und schüttelte lachend den Kopf. Beim Herrgott, dieses Ding war mindestens einen Viertelton höher gestimmt, als es sich gehörte! Das Gleiche war ihm bei der Violine auf dem Domplatz schon aufgefallen. Kein Fehler also, sondern eine neue Mode offenbar. Nun gut, daran konnte man sich gewöhnen. Auch dass die Tasten eindeutig breiter waren als diejenigen, die er bisher bespielt hatte, war lediglich eine Frage der Spielweise. Neugierig, mit welchen Kapriolen die Musik der neuen Zeit aufwarten mochte, grinste er den Wirt an, spreizte die Finger einen Deut weiter und legte los. Wolfgang griff das zuvor gehörte Lied auf, spielte einen vierstimmigen Satz darüber und einen kleinen Kontrapunkt dazu.
    Der Geiger starrte ihn an wie einen Geist, klemmte schließlich die Geige unters Kinn und stimmte ein. »Danke«, hörte Wolfgang ihn raunen, sobald der Wirt verschwunden war.
    Wolfgang atmete auf. Endlich bewegte er sich auf halbwegs vertrautem Terrain, wenn auch mit einem reichlich morschen Instrument unter den Händen. Die mittleren Oktaven waren derart verstimmt, dass es ihm kaum gelang, all den sekkierend schrägen Tönen auszuweichen. Doch auch das, was der Geiger ihm zu spielen vorgab, entbehrte den ersehnten Reiz des Neuen: getragene Weisen, die ihn zuweilen an ungarische und böhmische Musik erinnerten. Allzu viel schien sich nicht getan zu haben. Zweihundert Jahre? Nun, das war ein Wirtshaus, wenn auch sicher ein besseres. Das, was ihn interessierte, würde er hier ohnehin nicht zu hören bekommen. Immerhin froh, nicht mehr frieren zu müssen, begleitete er den Violinisten Stück um Stück und versuchte, den köstlichen Geruch der

Weitere Kostenlose Bücher