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Herr Mozart wacht auf: Roman (German Edition)

Herr Mozart wacht auf: Roman (German Edition)

Titel: Herr Mozart wacht auf: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Baronsky
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Speisen zu verdrängen, die hinter ihm aufgetragen wurden.
    Nachdem das Essen vorüber war und das Trinken begann, die Stimmen im Lokal so laut wurden, dass Wolfgang, trotz des lärmigen Instrumentes, mit Kraft gegen sie anspielen musste, legte der Geiger die Violine zur Seite.
    »Brauch ich Pause!« Er schnaufte, trank einen Schluck Wasser und stellte das Glas auf eine kleine Konsole zurück, die an einem Wandpfeiler angebracht war. Dann verschwand er hinter einer Tür mit einem H darauf. H wie Häusel, überlegte Wolfgang, das war also gewiss der Hinterausgang.
    Wolfgang zog sich einen der hohen Hocker zu dem Wandpfeiler, fragte sich, ob er von dem Wasser des Geigers trinken oder auf etwas Besseres hoffen konnte, als sein Blick auf kunstvoll bedrucktes Papier fiel, das in einem gläsernen Ständer auf der Konsole prangte.
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, war darauf zu lesen. Dies schien sich just an ihn zu richten; er fächerte die Seiten mit dem Finger auseinander, es war ein ganzer Packen immer gleicher Drucke, musste sich also um eine Art Offerte handeln. Er sah sich verstohlen um, nahm ein Blatt heraus, konnte sich jedochkeinen Reim auf das machen, was dort unter dem Namen
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angeboten wurde. Ein Schildchen, mit Buchstaben aus glänzendem Silber, war an der Offerte befestigt.
Max Mustermann
stand darauf. Wolfgang fühlte mit dem Finger über die Schrift und hielt erschrocken inne. Das Papier war plan, die Buchstaben keineswegs erhaben, wie es den Anschein hatte. Dies war ein mit solcher Akribie gefertigtes Gemälde, dass es Wolfgang noch eine ganze Weile daran zu kratzen verlangte und er immer wieder über die silberne Zeile fuhr.
    »Piotr Potocki aus Mrągowo, Polen.« Der Geiger riss ihn aus seinen Gedanken.
    Wolfgang griff nach der dargebotenen Hand, die sich trocken und knöchern anfühlte. »Wolfgang Mo…« Ihm wurde heiß, kalt und wieder heiß, doch dann huschte ein Lächeln über sein Gesicht. »Mustermann heiß ich. Gewiss. Jawohl. Wolfgang Mustermann!«
    »Spielst du großartig, Wolfgang Mustermann. Und hast du sehr geholfen mir. Hab ich Schulden bei dir, wenn du brauchst Hilfe.«
    Der Wirt brachte starken Kaffee, und Wolfgang verrenkte den Kopf, um einen Blick auf das sagenhafte halbnackte Frauenzimmer zu erhaschen, dessen Aufzug außer ihm offenbar niemand ungewöhnlich fand. Sie rauchte unaufhörlich kleine weiße Zigarren, Wolfgang beobachtete, dass stets ein diensteifriger Galan zur Stelle war, ihr das Rauchwerk zu entzünden.
    »Ob er wohl auch eine Mahlzeit für uns brächte?« Wolfgang sah den dicken Wirt fröhlich an.
    »Um sechs hat’s was gegeben. Komm gefälligst pünktlich, wenn du essen willst.« Der Wirt schnaubte und verschwand, stellte aber kurz darauf einen Teller vor Wolfgang ab. Ein Risotto, nur mit Erbsen und ohne Fleisch, doch Wolfgang war ausnahmsweise alles recht, solange es nur den Hunger stillte.
    Nachdem einige der Gäste aufgestanden waren und in Grüppchen umherstanden, gewahrte Wolfgang, dass die meisten der Frauenzimmer das nackte Bein zur Schau stellten. Wenn auch nicht in gleicher Weise wie die Bacchantin, so reichte doch kein Weiberrock länger als bis zum Knie. Immer wieder lehnte Wolfgang den Oberkörper zur Seite, um hinschauen zu können. Es schienen keine leichten Frauen zu sein, die Herren und auch die Bediensteten behandelten sie alle mit höflichem Respekt. Er warf einen vorsichtigen Blick auf den Geiger, doch der massierte nur seine Hand und nickte Wolfgang zu. Was für eine Welt! In seiner Erinnerung tauchten die Waden Constanzes auf, die, gleichwohl mit einer Ausnahme, die beinahe zu einem Zerwürfnis geführt hätte, stets sittsam vor allen Zudringlichkeiten versteckt geblieben waren. Für einen Moment sah er sie zwischen den Gästen, mit bloßen Waden, und in seine Empörung drängte sich lustvolles Kribbeln.
    Als sie weiterspielten, vermischten sich in Wolfgangs Kopf tausenderlei Eindrücke wie in einem skurrilen Traum, er war jedoch außerstande, sie ihrem jeweiligen Leben zuzuordnen, und bemerkte kaum, dass seine Finger immer träger wurden. Erst als Piotr ihm den Klavierdeckel vor der Nase zuklappte, überfiel ihn schlagartig beißende, schwere Müdigkeit. Wolfgang erhob sich, doch seine Beine knickten ein wie Blütenstängel. Der Boden schwankte. Er stützte sich am Piano ab und sank auf den Schemel zurück.
    »Den kannst wieder mitbringen, der ist mir lieber als der Russe.« Verschwommen sah Wolfgang eine dicke weiße Gestalt auf sich

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