Herr Mozart wacht auf: Roman (German Edition)
der Zauberscheiben, die Piotr nun herausnahm und Wolfgang in die Hand drückte.
»Machst du wieder in Hülle rein, bitte.« Er wies mit dem Kopf zu Wolfgangs Lager, wo noch immer das kleine gläserne Kästchen lag. Wolfgang nickte, rührte sich aber nicht, sondern starrte gebannt auf die Scheibe in seiner Hand. »Wie viele Malen mag einer das wohl imstande sein zu hören, sag mir?«
»Wenn du willst, bis kommt zu Ohren raus.« Belustigung und Argwohn mischten sich in Piotrs Ton. Dann platzierte er die zweite Scheibe im Mechanikum, drückte den Deckel herab und betätigte wieder einen Knopf.
Noch ehe Musik erklang, war Piotr aufgesprungen. »Geh ich spielen jetzt in Grabenstraße. Bleibst du liegen ganz ruhig, komme ich wieder an Abend.«
Noch lange nachdem die Türe hinter Piotr ins Schloss gefallen war, saß Wolfgang andächtig am Boden, betrachtete die Silberscheibe in seiner Hand, während die gespenstischenKlänge eines Violinkonzertes den Raum füllten, und versuchte, die Gedanken zu greifen, die durch seinen Kopf stürmten. Er drehte das glänzende Ding, fuhr mit dem Finger am Rand entlang. Wie kam die Musik dort hinein und wie heraus? Wie viele dieser Zauberscheiben mochte es geben, in Ennos Wohnung hatten sicher zwei Dutzend am Boden gelegen. Und hier, in der Wohnung eines Musikers? Sogleich richtete Wolfgang sich auf, stakste auf Knien zum Bord, raffte sämtliche Glaskästchen heraus und breitete sie auf dem Boden aus. Alles Musik! Jederzeit und immer wieder anzuhören! Sein Atem ging schneller, mit fliegenden Händen durchwühlte er die Etuis, las bekannte Namen wie Händel, Bach, Corelli, und als er eines mit dem Bildnis Joseph Haydns fand, drückte er es fest an seine Brust. Andere dagegen suchte er vergeblich: Kozeluch, von Beecke, Umlauf. Und Clementi, dieser welsche Chiarlatano! Ein schadenfrohes Grinsen fuhr über sein Gesicht. Ja, es gab einen Grund, warum die einen es geschafft hatten, die Zeiten zu überdauern, die anderen aber nicht. Er hatte es gleich gewusst. Hofschranzen, blöde!
Dann las er die Aufschriften der übrigen Kästchen, Namen, ihm allesamt unbekannt. Schließlich machte er zwei Häuflein, eines für die ihm vertrauten Tonkünstler zu seiner Linken, ein weiteres, weitaus größeres mit der fremden, neuen Welt zu seiner Rechten. Er fand einige, auf denen als Komponist »Wolfgang Amadeus Mozart« angegeben war. Amadeus! Wolfgang verzog das Gesicht. Noch auf dem Domplatz hatte er es für einen Scherz gehalten. War es möglich, dass man auf seinen rechten Namen vergessen hatte, nach all der Zeit? Dennoch hielt er das Kästchen lange in den Händen, die Schrift darauf verschwamm vor seinen Augen, er strich mit den Fingerspitzen über die glatte Hülle. Den seinen ließ er mit weitem Herzen einen eigenen Stapel zukommen und inspizierte Werkbezeichnungen, die ihm gar nicht geläufig waren; stirnrunzelndlas er Namen wie
Jeunehomme-Konzert
,
Jagdsonate
und
Jupiter-Sinfonie
, hatte jedoch keinerlei Erinnerung an solche Kompositionen. Aus irgendeinem Grund hatte man sie sämtlichst mit Nummern versehen, vor denen ein KV stand, offensichtlich hatte sich jemand die Mühe gemacht, sie zu sortieren. Dieses Durcheinander! KV? Ob das Constanze gewesen war? Herrje! Wolfgang lachte laut auf und ließ den Blick über die drei Türmchen schweifen. Er würde sie anhören, allesamt, gleich jetzt. Mit dem Mechanikum musste fertig zu werden sein, schließlich hatte Piotr nichts weiter als ein paar Knöpfe gedrückt.
Blind wählte er ein Kästchen aus dem Stapel der ihm unbekannten, drückte auf eine Taste. Mit einem leise schabenden Geräusch verstummte die Musik, weiters tat sich nichts. Erst nachdem er noch zwei andere Knöpfe ausprobiert hatte, sprang der Deckel hoch und gab die Scheibe frei, die Wolfgang sofort durch die andere austauschte. Doch es gelang ihm nicht, sie zum Klingen zu bringen, also nahm er sie wieder heraus, betrachtete sie. Vielleicht war sie kaputt? Oder er hatte doch den falschen Knopf erwischt. Er sah noch einmal genauer hin: Eindeutig, es stand
play
darauf, das musste der Knopf zum Spielen sein. Dann, endlich, bei der nächsten Scheibe funktionierte es. Gebannt lauschte er: Welch ein Klang! Besser als das großartigste Orchester, das ihm je zu Ohren gekommen war. Ohne ein einziges Instrument! Eine kalte, teuflische Perfektion. Argwöhnisch blickte er auf die schillernden Scheiben. Ihnen gelang, was er in all den Jahren vergeblich von seinen Musikern gefordert hatte.
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