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Herr Mozart wacht auf: Roman (German Edition)

Herr Mozart wacht auf: Roman (German Edition)

Titel: Herr Mozart wacht auf: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Baronsky
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Wunder war die Welt. Er atmete tief ein, hielt dann inne. Und niemand musste mehr einen Geigenbogen schwingen, um Musik zu machen.
    Nachdenklich betrachtete er das eigelbfarbene Instrument, das Piotr ihm zu dem weichen Tuch gereicht hatte. Er hielt es in einigem Abstand unter seine Nase, schnüffelte daran, nahm es zwischen die Lippen und blies hinein, doch es gab keine Töne von sich.
    Als er es genauer untersuchte, bemerkte er zwei winzige Klingen auf einer Seite und schälte sich erleichtert den Bart vom Gesicht. Blut floss in einem winzigen Rinnsaal von seiner Lippe.
    Piotr steckte den Kopf zur Tür herein. »Stört dich?« Er wies in die Ecke des Raumes, wo der Hocker stand.
    »Aber nein, gewiss nicht, ich bin es gewohnt, während meiner Toilette ein wenig Konversation zu betreiben. So sag mir, was das für ein Ort ist, an dem wir heute spielen werden?«
    »Italienische Lokal, aber andre als gestern. Wirt ist netter, gibt immer gute Pizza vorher. Nimmst du nicht Rasierschaum? Hast du schon geschnitten dich.«
    Wolfgang warf dem Geiger einen Blick zu. Der jedoch hatte ihm den Rücken zugewandt und den Sitz des Hockers nach oben geklappt. Erst jetzt erkannte Wolfgang, dass es in Wirklichkeit ein überdimensionaler Nachttopf war, vor dem nun Piotr stand und plätschernd hineinpisste. Wie ungeheuer praktisch! Mit gurgelndem Geräusch floss anschließend Wasser hinterher.
    »Merveilleux! Darf man auch hineinscheißen?«
    Piotr warf ihm einen gequälten Blick zu. »Hörst du auf jetzt mit deine Quatsch, ja? Musst du dich beeilen, kommen wir zu spät sonst.« Er brummelte im Hinausgehen noch etwas Unverständliches und schloss die Tür.
    Mit einem Seufzer ließ sich Wolfgang auf dem riesigen Nachttopf nieder.

Rex tremendae
     
    Rex tremendae majestatis,
    Qui salvandos salvas gratis,
    Salva me, fons pietatis.
     
    Eine halbe Stunde später humpelte Wolfgang mit sauberen, vor Kälte und Aufregung geröteten Wangen neben Piotr durch die schneevermatschten Straßen, stolperte eine wahrhaft verhexte, sich bewegende Treppe hinab in einen unterirdischen langen Korridor, der links und rechts in ein schwarzes Loch mündete. Ängstlich zögerte er, überhaupt weiterzugehen, ob all der Absonderlichkeiten, doch Piotr drehte sich ungeduldig nach ihm um, und so fand sich Wolfgang schließlich in einem zugigen Stollen wieder, klaftertief unter der Stadt. Die Luft war erfüllt von Rauschen und Brummen, das von den Wänden vielfach widerhallte. Hohe Lichtbänder erhellten alles wie zur Mittagsstunde, obschon es draußen bereits finster war. Ein warmer, drängender Wind blies und erinnerte Wolfgang an südlichere Tage.
    »Was tun wir hier?« Ein Dröhnen erhob sich, so dass Wolfgang seine Frage wiederholen musste.
    »Zum Laufen ist zu weit mit deine Fuß!«
    Das Dröhnen schwoll an wie ein Contrabasso, wurde schriller, als übe ein Kind auf der Querflöte dazu. Es schien von dort zu kommen, wo der Boden der hallenartigen Katakombe steil abfiel. Wolfgang tat ein paar Schritte bis zur Kante und spähte hinunter. Kurze Balken waren in den Boden eingelassen, wohl war es eine Deckenkonstruktion, es lag also augenscheinlich noch ein Stockwerk unter diesem. Ob dort der Höllenlärm veranstaltet wurde? Ein Schauer rieselte ihm den Nacken entlang, da fühlte er sich plötzlich heftig am Arm gepackt und zurückgerissen. Ehe er sich umdrehen konnte, kam etwas Riesenhaftes in aberwitzigerGeschwindigkeit auf ihn zugeschossen, ein silbern glänzender Höllenwurm, der pfeilschnell an seiner Nase vorbeisauste. Er schrie auf, taumelte rückwärts und klammerte sich an Piotr, der ihn noch immer am Arm hielt.
    »Was machst du? Idiot! Hast du schon genug von Leben?«
    Wolfgangs Herz raste in panischer Angst. Wie angewurzelt stand er, unfähig, den fälligen Reißaus zu nehmen, und starrte auf das Ungeheuer, das nun still hielt und kurz schnaufte. Wolfgangs Blut pochte bis in die Handgelenke hinab. Es war ein riesenhafter, länglicher Kasten mit Fenstern und Türen, durch die Wolfgang ins Innere sehen konnte. Leute standen und saßen darin, unbeteiligt, als drohe nicht die mindeste Gefahr. Piotr packte Wolfgang und zog ihn dorthin, von wo er ihn just weggerissen hatte. »Komm jetzt, fährt gleich los!«
    »Nein, o nein, nicht in sieben Leben bekommst du mich dorten hinein!« Wolfgang stellte einen Fuß vor und stemmte sich Piotr mit solcher Entschlossenheit entgegen, dass der Geiger, obgleich größer und stärker als er, nichts auszurichten

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