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Herr Mozart wacht auf: Roman (German Edition)

Herr Mozart wacht auf: Roman (German Edition)

Titel: Herr Mozart wacht auf: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Baronsky
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keifendes Geschrei und entdeckte eine dicke Frau, die sich aus einem Fenster vis-à-vis lehnte und mit der Faust herumfuchtelte. Ihre Stimme fiel von einer Tonlage in die nächste und formte sich in seinem Kopf zu einer wunderbar komischen Aria. Offenbar zürnte sie mit dem Herrgott, denn niemand antwortete ihr. Eilig schloss er das Fenster, nahm das restliche Notenpapier und versank in der Niederschrift der Melodie, überschrieb das Blatt übermütig mit
Das unerhörte Weib
.
    Solange es nur Musik gab, war er bereit, in jeder Welt zurechtzukommen.
     
    »Cholera!« Piotrs Stimme riss Wolfgang aus den Klängen. »Hast du durcheinandergebracht alle CDs!« Wolfgang sah verwirrt von seiner Arbeit auf und bemerkte Piotr, der inmitten der überall verstreuten Silberscheiben, Kästchen und Heftchen kniete.
CDs
, genau. Wolfgangs Gesicht hellte sich auf. So hatte Jost die Scheiben genannt, jetzt erinnerte er sich.
    »Ich habe sie sortiert und …«
    »Sortiert?« Entgeistert starrte Piotr ihn an. »Ist alles durcheinander, hier.«
    »Sieh nur«, erklärte Wolfgang, erhob sich und wies auf die linke Hälfte des Chaos, »die alle sind vor Mozart gewesen. Die anderen« – er machte eine schwungvolle Geste nach rechts – »danach. Und Mozart liegt dort«, rief er und tänzelte, die gerade niedergeschriebene Melodie singend, zwischen den CDs umher. »Nein, nein, nein, er lieget nicht, er stehet, er gehet, er wandert, er hatscht, er lauft und rauft und sauft!« Lachend schlug er sich auf die Schenkel, griff sich mit schmerzverzerrtem Gesicht an den Fuß und hüpfteauf einem Bein weiter. »Der Mozart, der alte Motzhard, der Trazom …«
    Piotr grinste kopfschüttelnd und reichte ihm zwei weitere CDs. »Wenn du so stehst auf Mozart, musst du diese auch noch legen auf Stapel.«
    Wolfgang warf sich lachend in den Sessel und sah auf die Kästchen. Ein grausiger Schreck durchfuhr ihn. Heiser schrie er auf. »Nein! Das war gar nicht fertig! Wer hat das komplettiert?«
    »Was? Requiem?«, fragte Piotr abwesend. »Schüler von Mozart, Süßmayr, weißt du nicht?«
    »Wieso der, dieser Holzkopf? Das muss ich anhören. Sofort!« Mit fliegenden Fingern zerrte Wolfgang die CD so heftig aus der Hülle, dass die Haltezähnchen abbrachen.
    »He!« Piotr nahm ihm die Scheibe weg. »Machst du auch noch kaputt CD-Player.« Behutsam legte der Geiger die Scheibe ein.
    Schon der erste Ton nahm Wolfgang den Atem, fiel wie Schnee auf seine Seele. Wehmütiger konnte ein Bassetthorn nicht klingen. Er presste die Lippen aufeinander. Hatte er nicht die traurigste Musik der Welt komponieren wollen? Hatte nicht jeder einzelne Ton Hunderte Male in seinem Innern geschmerzt? Doch es wirklich anzuhören, so, hier, das war etwas ganz anderes.
    Noch ehe der Chor einsetzte, blinzelte er die Tränen fort, wischte sich mit dem Ärmel über die Augen. »Nein, weiter«, herrschte er Piotr an, »das ist mir alles zur Genüge bekannt. Zum La…!« Nein. Nein, nicht das Lacrymosa, das wollte er nicht hören, das nicht. »Zum Sanctus! Was hat er mit dem Sanctus gemacht?«
    Piotr warf einen Blick auf das Kästchen und drückte schließlich folgsam die Knöpfe.
    Prompt wurde Wolfgang still, lauschte, spürte, wie ihn jeder Paukenschlag in den Magen traf. »Herrgott im Himmel,so ein damisches Gebrumm, das! Schrappschrappschrappscharappschrappschrappschrapp! Das ist keine Musik, das ist eine hirnlose Scheißhausfliege, die gegen die Fensterscheiben brummt. Anstelle Noten zu schreiben, hat er einfach den Schiss aufgesammelt und auf dem Papier verstreut. Hundskopf, der!« Wolfgang kniete sich neben Piotr vor das Mechanikum. »Nein!«, schrie er auf. »Das darf man doch nicht so zu Ende zwingen. Hör nur, wie er die Melodie abreißt und das Thema reinzwängt, hat keinen Funken Gefühl für die Musik, dieser saublöde Kopf, dieser Trampel, dieser elende!«
    Piotr versetzte ihm einen Schubs in die Seite. »Was schreist du herum, kannst du besser als Mozart?«
    »Aber das bin i… – iiist nicht der Mozart gewesen!«, fuhr Wolfgang ihn an. »Das hat dieser Heuchler Süßmayr verbrochen, hör dir diese Stümperei an … da, da, hörst du es? Himmel, er bringt alles zum Verwelken. Verflucht, das darf niemals so bleiben, das werd ich müssen ändern!«
    »Bist du komplett verrückt.« Piotr machte ein Gesicht, als hätte er Seife im Mund.
    »Und es ist bereits alles notiert.« Wolfgang hieb mit der Faust in der Luft umher. »Wenn ich es nur nicht hätte liegenlassen wegen dieses

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