Herr Mozart wacht auf: Roman (German Edition)
sie ganz von selbst entlangrutschten. Eine junge Frau griff, ohne hinzuschauen, ein Stück nach dem anderen, wog es kurz in ihrer Hand und legte es wieder hin, untermalt von taktlosem, grellem Gepiepse. Das musste die Dame sein, von der Piotr gesprochen hatte.
»Grüß Gott, Fräulein Billa. Ein gar scheußliches Wetter heute, nicht wahr?«
Fräulein Billa wandte den Kopf und nickte knapp, ihre Nasenlöcher schienen größer zu werden. »Sechsundvier zig siebzehn.«
Wolfgang reichte den Geldschein an Fräulein Billa. »Mein Kompliment, das hätt selbst ich so rasch gewiss nicht rechnen können. Einen schönen Tag noch, Fräulein Billa.«
»Hast du nur Blödsinn in Kopf.« Doch Piotr lachte, als sie wieder auf der regennassen Straße waren. Dann wurde er ernst. »Aber fünfzig Euro fast!«
Und Wolfgang war beinahe, als kennte er diesen gestrengen Blick von der Seite.
»Wohin willst du gehen zuerst?«, fragte Piotr ihn am nächsten Morgen.
In der U-Bahn war immer wieder das Schild
Oper
an ihm vorbeigehuscht, wenn die Bahn am Karlsplatz einfuhr. »Zur Oper, endlich!«, erwiderte Wolfgang sehnsüchtig. »Und dann an jeden Ort, an dem Musik gespielt wird!«
»Lieber Gott, ganze Stadt ist voll mit Musik.«
»Ich will etwas Neues hören, etwas ganz à la mode. Was gibt man heuer in der Oper?«
Piotr hob die Schultern. »Wie immer. Mozart, Wagner, Richard Strauss …«
»Aber das ist just das Contraire von etwas Neuem. Man wird wohl auch eine Musique dort geben, die bei den Ersten der Zeit ist?«
»In Staatsoper?« Piotr lachte und bedachte ihn wieder mit jenem Blick, der Wolfgang lieber schweigen ließ.
Und also fuhr Piotr zwei Tage mit ihm kreuz und quer durch die Stadt und zeigte ihm bereitwillig alles, was Wolfgang zu sehen verlangte.
»Touristen gehen alle nach Prater und Hofburg, und du willst sehen Autobahn.«
»Was sind Touristen?« Wolfgang musste gegen Wind und Lärm anschreien. An das Brückengeländer gelehnt, versuchte er, auf die Toyotas zu spucken, die unter ihnen entlangdonnerten. In der Hofburg kannte er jede Mauernische, das hier aber, das war etwas Neues, viel Spannenderes.
Piotr lachte verhalten. »Bist du komisch, przyjaciel.«
»Ach Piotr, erscheint es dir nicht auch zuweilen erquicklich, über Sachen nachzudenken, die bloß vorgeben, man habe sie bereits zu Ende gedacht?«
Und als Piotr daraufhin den Blick in die Ferne richtete, kam ihm eine rettende Idee. »Ich weiß ein lustiges Spiel,Piotr. Lass mich dir, für einen Tag, die allerdümmsten Fragen stellen, die mein müder Kopf zu ersinnen vermag, und deine Aufgabe wird es sein, sie ohne Auslass, mit erhabenem Ernst und in aller Klugheit zu beantworten. Jetzt gleich. Im Gegenzug will ich dir nach unserer Arbeit heut Abend eine üppige Zeche zahlen, an einem Ort, den du wählst, sous Condition, dass dorten ebenfalls Musik gespielt wird. Nur diesmal etwas wahrhaft Neues, bitte sehr!«
Einer Erlösung gleich spürte er Piotrs Handschlag und begann unverzüglich und aller Bande ledig, den Geiger auszufragen nach allem, was ihm in den Sinn kam. Hütete sich dabei, erkennen zu lassen, dass er tatsächlich von nichts das geringste Wissen hatte, vielmehr machte er sich einen vergnüglichen Spaß daraus, den Geiger zum Schein auf die Probe zu stellen. Und wenn dieser ihm auch längst nicht alles erklären konnte – die Welt war einfach zu voll geworden mit Fragen –, so wusste er doch hinterher, dass hinter den meisten Mirakeln nichts weiter steckte denn eine neue Form von Kraft, dass Nachrichten nicht mehr Wochen und Tage, sondern allenfalls noch Minuten unterwegs waren und dass er die Willkür der Weiber weit mehr zu fürchten hatte als die der Monarchen. Und nachdem sie am Abend eine Weihnachtsfeier in einem italienischen Restaurant mit den seelenvollsten Puccini-Arien begleitet hatten, fühlte sich Wolfgang, als wäre binnen dieses einen Tages in seinem Hirn ein ganzes Haus Stein für Stein auseinandergenommen und anschließend auf völlig andere Weise wieder zusammengesetzt worden.
»Da kannst du es sehen, Piotr, mein Freund. Schon mein guter, allerbester Vater selig hat stets gesagt, es gebe keine dummen Fragen.« Erwartungsvoll stellte er sich vor ihm auf. »So sag mir, Piotr, mein liebster, bester Freund, wie es vonstattengehen mag, dass ein Mann in der Zeit reisen kann.«
»In Zeit reisen? Ist Blödsinn, keine Mensch kann in Zeit reisen.«
»Gewiss, Piotr, es muss gehen, ich weiß, dass es geht, und du sollst mir erklären,
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