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Herr Mozart wacht auf: Roman (German Edition)

Herr Mozart wacht auf: Roman (German Edition)

Titel: Herr Mozart wacht auf: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Baronsky
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komponieren.
    Dann sah er sie. Die Ausgeburt jener perfekten Klänge. Sie saß an einem kleinen, hohen Tisch direkt vor der Bühne,sprach mit dem Frauenzimmer neben ihr und blies gekonnt Rauchringe in die Luft. Gebannt starrte er sie an. Ihr volles dunkles Haar war aufgesteckt, der Rücken mit nichts anderem bedeckt als zwei lose herabhängenden schwarzen Bändern, die ihr Kleid im Nacken zusammenhielten. Ganz deutlich konnte er die Vertiefung ihres Rückgrats sehen, und ihm war, als spüre er mit seinen Fingerspitzen darüber.
    Ihr Gesicht war nicht wirklich schön, doch die Art, wie sie den Kopf nach hinten legte und lachte, ließ ihm unverzüglich den Verstand abwärtswandern. Als sie sich lasziv eine weitere dieser neuen weißen Zigarren zwischen die dunkelrot glänzenden Lippen schob, konnte er nicht anders, er musste sich zu ihr durchdrängen.
    »Ihr gestattet?« Mit einer galanten Verbeugung nahm er ihr die Zündhölzer ab, versuchte sich in Erinnerung zu rufen, wie damit umzugehen war, doch vor Aufregung rutschte ihm die Schachtel aus der Hand. Flugs bückte er sich und fingerte in der Dunkelheit zwischen den Stuhlbeinen herum. Mit rotem Kopf, doch ohne Hölzer tauchte er wieder auf. »Weg! Hinfort und futsch! Flutsch!« Wolfgang grinste, griff nach der Kerze, die in einem kleinen Glashalter auf dem Tischchen flackerte, und hielt sie der Schönen vor die Nase.
    »Lass stecken, Kleiner.« Ohne Wolfgang anzuschauen, entzündete sie die Zigarre am Zündapparat ihrer Begleiterin und setzte ihre Unterhaltung fort, als wäre er nicht da.
    Zerknirscht trat er den Rückzug an, warf einen letzten Blick auf den herrlichen Nacken, hängte sich neben Piotr an den Tresen und ließ sich ein neues Bier geben.
    »Mach dir nichts draus«, erklärte der Garçon – ein Mohr mit gespenstisch weißen Augen –, »an der haben sich schon ganz andere versucht. Neuerdings ist sie mit dem Saxophonisten zusammen, gegen den hast du eh keine Chance.«
    Wolfgang schluckte. Mit dem Saxophonisten! Grimmig reckte er sich, bis er Sicht auf den blonden Lulatsch bekam,der, mit entrücktem Blick, lässig an dem blau schimmernden Flügel lehnte und die göttlichsten Töne aus seinem Instrument blies.
    »Warum spielen wir nicht hier?«, erkundigte er sich aufgebracht bei Piotr.
    »Hier?« Piotr hob die Brauen. »Ah, Wolfgang! Bin ich klassische Geiger und keine Jazz-Musiker.«
    »Das ist mithin nichts weiter denn eine Frage des Repertoires.« Erbost drehte Wolfgang sich zum Tresen und begann, mit energischen Fingern auf das blau schimmernde Glas einzuhämmern.
     
    Piotrs Bus nach Polen fuhr wenige Tage vor Weihnachten. Während der Geiger Sachen in seine kleine schwarze Tasche packte, hörte Wolfgang unablässig Instruktionen. »Bringst du Noten zu Verlag! Wirst du verhungern sonst! Vergisst du nicht wieder Heizstrahler in Badezimmer!« Piotr dämpfte seine Stimme und funkelte ihn grimmig an. »Und benutzt du Toilette!«
    »Ja, gewiss, Papa Piotr.« Dass Wolfgang aus dem Fenster gepinkelt hatte, konnte Piotr nicht verwinden. Die unerhörte Frau von gegenüber hatte Wolfgang prompt beim Hausbesorger angeschwärzt, weswegen sich Piotr nun fürchterlich um seinen Hausfrieden sorgte. »Und fürderhin will ich recht brav mich geben, die Türe nicht öffnen und der fremden Leute keine hereinlassen … O doch! Das tue ich wohl, mit der allergrößten Freude, wenn’s nur eine Dame sein mag.«
    »Quatschkopf! Wohin gehst du Heilige Abend?«
    Wolfgang hob die Schultern. »Ich denke beharrlich darauf, ob ich jemand Schuldigkeit zu erfüllen hätte, die Messe zu besuchen, indem ja …«
    »Aber musst du Familie haben – irgendwo.«
    »Alle tot.« Wolfgang grinste. »Also bin ich, so es den Anschein hat, im besten Falle niemandem denn meinemSchöpfer überhaupt etwas schuldig, kann dermalen getrost ein ganzes Weihnachtsfest über an meiner Opera schreiben. Allenfalls, wenn es denn sei, dass Papa Piotr darauf besteht, dass ich zur Messe gehe, so werde ich eilen, eilig, in Eile, eilendig, elendig …«
    »Muss man gehen, Wolfgang! Wenigstens an Weihnachten, przyjaciel. Bist du ganz allein sonst und kannst du nicht feiern Fest von unsere Herr Jesus Christus.«
    »O ich Elender!« Wolfgang reckte theatralisch die Arme gen Himmel. »So hab ich doch nicht weniger als eins, zwei, drei, vier, fünf, sechs, sieben, acht, neun, zehn, elf, zwölf, dreizehn, vierzehn, ach, fünfzehn Weihnachtsfeiern gehabt in den verflossenen – huch, welch garstiger Zufall –

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