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Herr Mozart wacht auf: Roman (German Edition)

Herr Mozart wacht auf: Roman (German Edition)

Titel: Herr Mozart wacht auf: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Baronsky
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schimmernden Haar.
    Über allem lag schon nachtdunkle Schläfrigkeit, Ruhe, als habe nichts mehr Gewicht. Und doch war darin noch etwas anderes zu spüren, ein Sehnen, von Stunden verdichtet, die Essenz einer Erwartung, bereit zu Rausch oder Untergang, die er nun, als beständig auf- und absteigendes Thema, in den blauen Raum zurückwarf, E-Dur, in leisestenModulationen beinahe zum Erliegen brachte und schließlich mit neuer Kraft wieder auferstehen ließ. Er sah Piotr, der sich auf seinem Hocker zu ihm umgedreht hatte und zuhörte. Er sah den dunklen Barmann, Geschirrtuch und Glas in den reglosen Händen, und er sah sie, wie auch sie sich zu ihm umwandte, noch immer in den Armen des Langen hängend, und sandte ihr eine kecke Variation zum Gruß. Doch nachdem das Mechanikum, das er wie einen Basso in sein Spiel genommen, geendet hatte, hing die Schöne noch immer an ihrem Galan. Zwei, drei Takte verstrichen, bis das nächste Stück aus dem Mechanikum mit jähen Schlägen die Stille zerriss.
    Wolfgang erhob sich, dorthinein mochte er nicht spielen. Er schickte einen letzten Blick zu ihr, bemerkte den Bar-Mohren, der auf den Flügel deutete und dem Mechanikum bereitwillig den Ton abschnitt, doch Wolfgang schüttelte den Kopf, ließ sich neben Piotr nieder und suchte nach seinem Bier. Aus den Ecken wurde applaudiert, Wolfgang neigte artig den Kopf in alle Richtungen.
    Der Barmann drehte seinen Zapfhahn ab und schob Wolfgang ein frisches Bier zu. »Du bist ja gnadenlos gut, Mann. Profi, oder?«
    Wolfgang war unsicher, was er antworten musste, also schwieg er und versank in frischem Schaum.
    »Na ja, das mit der Chance nehm ich zurück« – der Barmann wies mit dem Kopf in Richtung des Saxophonisten –, »was die Musik angeht, schaut die Sache jetzt wohl ganz anders aus.«
    Und Piotr stieß aufmunternd mit seinem Glas gegen Wolfgangs. »Bist du beste Pianist, was ich kenne, przyjaciel! Prost und fröhliches Weinachten.«
     
    Die Leere in Piotrs Wohnung schwärzte Wolfgangs Gedanken, also streifte er tagelang durch die Stadt, zögernd nur und in kleinen Kreisen rings um den Stephansdom, genossden Lärm der Einkaufsstraßen, das quirlige Treiben, das ihm einen so sonderbar schiefen Eindruck von Vertrautheit gab. Lange lief er durch die winterlichen Parks, wich Menschen auf unvermittelt an ihm vorüberschießenden Zweirädern aus, sah unzählige jener fahrbaren Kinderbetten, mit denen Frauenzimmer ihre Brut umherschoben, stand unentschlossen vor breiten Straßen und wagte sich doch nicht hinüber. Das Rad, so stellte er fest, war immer noch ein Rad, auch wenn es sich jetzt schneller drehte als ehedem, und ohne das schien die Welt nicht voranzukommen. Er vermisste die Pferde. Wieder und wieder zog es ihn zurück zum Dom, wo schnaubende Fiakergäule mit dampfendem Leib ihren Duft verbreiteten, und wenn er die Augen schloss, so hätte er sich beinahe zu Hause fühlen können.
    Gegen Mittag dann, sobald die Musik in seinem Kopf aufs Papier drängte, ließ er sich in einem möglichst belebten Kaffeehaus nieder und zog sein Notenheft heraus. Nachdem er sich jedoch zur Gewohnheit gemacht hatte, dort zu speisen, schmolz sein Geldvorrat wie Butter in der Augustsonne. Der Wirt eines Restaurants, in dem er mit Piotr aufgetreten war, hatte offeriert, ihn auch allein zu engagieren. Die angebotene Gage war indes so gering und der Weg so weit, dass Wolfgang gar nicht erst hingegangen war. Es drängte ihn, zu komponieren, er barst förmlich vor Musik, und die leidige Niederschrift fraß alle Zeit.
    Ein Klavierkonzert mit einer lustvollen Saxophonkadenz lag fast vollendet auf Piotrs gekacheltem Couchtisch, dazu zwei Violinsonaten für Piotr, ein paar Liedchen – eigentlich nicht mehr als Notizen zu einem Thema, das er in einem Warenhaus gehört hatte – und überdies reichlich Skizzen, Ideen, die allemal für eine Opera taugen würden. Und endlich, endlich hatte er sich auch wieder auf sein Requiem besonnen, das noch immer wie eine unbezwungeneMacht über ihm schwebte, obschon er jeden Tag mit größerer Gelassenheit den Gedanken daran von sich gewiesen hatte. Denn sosehr er auch darüber nachdachte, warum er sich in einem Heute befand, das eigentlich ein fernes Morgen und nicht für ihn bestimmt war, so entdeckte er doch nichts, was ihm wirklich eine verlässliche Antwort hätte geben können. Nichts konnte er mit Sicherheit wissen, nichts ausschließen. Was also mochte geschehen, wenn er jene Totenmesse tatsächlich vollendete, in

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