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Herr Mozart wacht auf: Roman (German Edition)

Herr Mozart wacht auf: Roman (German Edition)

Titel: Herr Mozart wacht auf: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Baronsky
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einer Weise, die der Erde wie auch dem Himmel gerecht wurde? Wenn er sich überwände und zum Äußersten zwänge, zu jenen Tönen des Lacrymosa, die in ungebrochener Schärfe in seine Seele schnitten? Käme er dann wieder, ihn zu holen, jener Erzbote Michael? Wäre dann vielleicht doch alles vorbei, sein Leben vollendet, seine Aufgabe erfüllt? Und zuletzt das Undenkbare: Hatte somit schließlich er selbst den Zeitpunkt in der Hand?
    Mit forscher Geste warf er den nächsten Takt des Agnus Dei aufs Papier und verbot sich die gotteslästerlichen Gedanken. Schluss damit! Er hatte dieses Werk zu vollenden, nicht weil der Himmel ihn ängstigte, sondern weil er es der Erde und vor allem seiner Ehre schuldig war. Er würde nicht ruhen, bis das mutlose Gestümpere dieses Dummkopfs, das seines Namens nicht würdig war, durch wahrhaft erhabene Musik übertönt wäre.
    »Komponierst du wie Maschine und lässt du dann in Ecke liegen! Ganze Wohnung ist voll!«, so hatte Piotr ihn vor der Abreise ermahnt und ihm die Adresse eines Musikverlegers auf einen gelben Zettel notiert.
    Wolfgang blätterte durch den wüsten Papierstapel. Der Geiger hatte recht. Noch am selben Nachmittag machte er sich mit einer Mappe voller Noten auf zum Verlagshaus Singlinger. Dort hieß man ihn, die Werke nebst einiger Angaben zu deponieren und sich im Februar wieder zu melden.
    So schlenderte Wolfgang die Straßen entlang, stand lange vor den Fenstern jener großen Geschäfte, in denen blicklose Puppen Anzüge, Jacken und Mäntel präsentierten. War diese seltsame Mode aus langen Hosen und geraden Röcken ihm zunächst so fremd erschienen, dass er sich gar nicht mit ihr hatte anfreunden mögen, so gefiel sie ihm nun immer besser, gelegentlich gar blieb ein besonders schönes Stück lange in seinem Gedächtnis.
    Noch immer trug er Piotrs Jacke und Ennos abgelegte Hosen. In einem solchen Aufzug würde er nirgendwo reüssieren, das war zu seiner Zeit so gewesen und würde sich auch in den nächsten zweihundert Jahren nicht ändern.
    Und so wagte er sich hinein, stand inmitten von Tischen und Ständern, an denen Kleider aufgereiht hingen, befühlte Tuche und betrachtete Knöpfe und Schnallen, nahm schließlich ein weißes Hemd mit blitzenden Goldknöpfen und hielt es sich vor die Brust.
    »Die Herrenabteilung ist dort.« Eine freundliche Dame mit Brille deutete hinter ihn.
    Wolfgang nickte, starrte verschämt auf die Bluse in seiner Hand, bis die Dame sie ihm abnahm, tat dann zögernd ein paar Schritte rückwärts, in die Richtung, die sie ihm gewiesen hatte. Er stieß gegen jemanden, erschrak, wandte sich um und brummelte eine Entschuldigung, bevor er feststellte, dass es eine Kleiderpuppe war, an der er sich gestoßen hatte. Er rieb sich den Oberarm und sah an ihr hinauf. Sie war beinahe nackt, trug nichts weiter als hauchzarten hellgrünen Tüll über den Brüsten und der Scham, der mit gleichfarbigen Bändern und Trägern um ihren Leib befestigt war. Atemlos starrte er sie an, dann wanderte sein Blick weiter zur nächsten Puppe, die das Gleiche in Schwarz trug. Rasch sah er nach unten. Allein die Vorstellung, einer Frau solches auszuziehen … Mochte das tatsächlich Leibwäsche sein? Fasziniert betrachtete er die winzigen Wäschestücke, die zu Füßen der Puppe auf einem Podest lagen, blicktesich zögernd um, wagte jedoch nicht, danach zu greifen. Immer wieder musste er hinauf zu der Puppe sehen, deren kleine, stramme Brüste durch den bestickten Tüll schimmerten. Eine junge Frau schlenderte an ihm vorbei und begann, zwischen den grünen und schwarzen Fetzchen zu suchen, griff sich welche heraus und betrachtete sie eingehend, hielt sich eines davon vor den Bauch und ging weiter.
    »Kann ich Ihnen helfen?«
    Wolfgang fuhr herum, sah wieder die Dame mit der Bluse und rieb sich die Augen. Ihm war, als sehe er mit einem Mal durch ihre Kleidung hindurch, bis auf ihre Haut, wo er jene aufreizenden hellgrünen Nichtigkeiten erblickte. F-Dur, das verdammte, frivole F-Dur! Er schüttelte den Kopf und stürzte davon.
    F-Dur! Wie kleine Kobolde tanzten hellgrüne Noten einen überschäumenden Reigen auf nackter Haut, schwangen sich auf in wilden Sechzehntelläufen und überschlugen sich in neckischen Kapriolen. Er begann energisch zu summen, schlug leise den Takt mit der rechten Hand und fand erst zur Ruhe, nachdem er die Herrenabteilung erreicht und mit größter Willensanstrengung die Musik in ein gesittetes Andante gezügelt hatte.
    Zögernd ließ er die

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