Herr Mozart wacht auf: Roman (German Edition)
Teller zu, zeigte auf einen Brotkorb. »Jetzt iss noch was, bevor Helene wiederkommt.«
Es wurde Nachmittag, bis Wolfgang vor Piotrs Wohnungstür ankam. Er stand eine Weile reglos dort, drehte den Schlüssel mit dem roten Band zwischen Daumen und Zeigefinger hin und her, fuhr mit dem Fingernagel über die Zacken des Barts. Eine dicke Frau kam die Treppen heraufgeschlurft, stapfte den Gang entlang. Er wartete, bis sie verschwunden war, lauschte dann. Drinnen schien alles still, doch darauf wollte er sich nicht verlassen. Er bewegte den Schlüssel Richtung Schloss, hielt inne, ließ den Arm wieder sinken. Im Grunde sollte er ihn unter der Tür hindurchschieben und einfach wieder gehen. Losmarschieren, wohin auch immer. Etwas brannte, tief drinnen in seinen Augenhöhlen, und ihm war, als zöge sich seine Brust enger.
»Was stehst du herum, schließt du Tür auf, muss ich nicht Rucksack absetzen.«
Er erschrak, sein Blick purzelte an Piotr herab bis zu dessen Sohlen, deren Tritte Wolfgang nicht gehört hatte. Wolfgangs Nicken missriet; hastig zwängte er den Schlüssel ins Schloss, sperrte auf, stand unschlüssig im Eingang und beobachtete mit halbgesenktem Blick, wie Piotr den Geigenkasten auf einen Sessel legte, seinen Rucksack auf den Boden stellte.
Der kleine Tisch, den Wolfgang sich zum Komponieren unter das Fenster geschoben hatte, stand nach wie vor dort, ein Stapel Noten, den er vergessen hatte, lag darauf. Er wagte nicht, seine Schuhe auszuziehen, schloss nur leise die Tür, blieb dort stehen, während Piotr eine Packung mit Streichkäse aus dem Kühlschrank nahm und Brotscheiben auf einem großen Teller verteilte.
»Ist wieder vorbei mit deine Morgenstern?«, fragte er aufgeräumt, ohne Wolfgang anzusehen.
Wolfgang biss auf seine Unterlippe. Sein Kopf war leer und dumpf wie das
Blue Notes
nach der Sperrstunde. Nicht der winzigste Spaß, den er noch aus einer Ecke hätte hervorlocken können.
Piotr stellte den Teller voller Käsebrote auf den Couchtisch, nahm auf dem Sofa Platz, in dessen Ecke noch immer Wolfgangs gefaltete Bettdecke lag, und griff nach einer Käseschnitte. Mit einem Kopfnicken forderte er Wolfgang auf, es ihm gleichzutun.
Wolfgang trat zögernd aus seinen Schuhen, indem er mit den Ballen die Fersen herunterdrückte, und kauerte sich in den gegenüberstehenden Sessel. Er nahm tief Luft, atmete dann lange aus. »Nichts denn Dunkelheit hat sie mir hinterlassen …« Er musste schlucken, spürte, wie Tränen in ihm aufstiegen. »Wo sie mir doch schon alles geschenkt …«
Als er schniefte, schob Piotr ihm das Küchenpapier zu. »Ist nicht einfach mit Frauen hier, wenn man kommt von Land. Sind wie Männer, wollen sie Spaß haben und Freiheit und alles. Musst du nicht denken an Liebe gleich. Paar Tage vielleicht, dann gehst du wieder hin und – mal sehen.«
»Sie ist fort, Piotr, weg, verschwunden, verschollen, dahin, verloren, vergangen, perdu. Hat mich verlassen gelassen in ihrem Hotelzimmer, nicht einmal ihren Namen hat sie mir genannt.«
»Hat sie Zimmer bezahlt?«
»Obwohl sie mich auch nach einer solchen Nacht wie einen Hund behandelt hat, so begehrt es meine Ehre doch, dass ich mich als ein manierlicher Kavalier verhalte …«
»Eine Nacht? Bist du weg gewesen vier Nächte!«
Wolfgang hob die Schultern.
»Ganze Zeit in Hotel? Was hast du gemacht, da?«
»Nichts.«
Piotr starrte ihn an. »Hast du gesessen vier Tage in Hotelzimmer und gemacht nichts? Muss man Arbeit tun, Wolfgang, musst du komponieren.«
»Ich komponiere, Piotr. Von der Früh an bis zur Nachtruhe komponiere ich, ja selbst im Schlaf will die Musik mich nicht lassen. Sie keimt fortwährend in mir und treibt wie Unkraut im Mai. So ist’s mitnichten eine Arbeit dennein Zustand, das Komponieren, allein, ich hab es dermalen nicht aufgeschrieben, es dafür weglaufen lassen.«
»Wie kann man weglaufen lassen deine Musik?«
»Recht brav duschen muss man. Wenn man lange genug steht und die Arme zum Himmel hebt, so läuft es herab und spült alles weg, bis in das Loch im Boden, wo alsdann alles hineingurgelt, die Liebe freilich und die Musik dazu.«
Piotr sprang auf. »Hast du große Schatz, hast du gekriegt von Gott, und ist Sünde, wenn du wegschmeißt deine Leben und Musik verschwindet in Abfluss.« Er schnaubte. »In Abfluss! Hast du Verpflichtung mit Gott, wenn du hast solche Talent.«
Piotrs Worte schnitten in Wolfgangs Gewissen. Er biss sich auf die Unterlippe und schlang die Arme um die Knie.
Piotr
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