Herr Mozart wacht auf: Roman (German Edition)
matt. »Nun, dann machen Sie mal, und bringen Sie mir alles, wenn Sie fertig sind. Aber das mit dem Jahresende schlagen Sie sich schnell wieder aus dem Kopf.« Er klappte Wolfgangs Mappe zu. »Bis zum Jahresende wird von diesen Sachen hier gar nichts aufgeführt.«
Wolfgang suchte in Singlingers breitem Hundegesicht nach einer Erklärung. Irgendetwas musste er wieder falsch verstanden haben. Vielleicht hatte man mittlerweile auch den Kalender verändert und den Jahreswechsel auf den Mittsommer verlegt? »Itzt ist … April«, wandte er zögernd ein. »Sollte man nicht der Meinung sein, bis zum Dezembris viel hundert Mal etwas aufführen zu können?«
»Herr Mustermann, ich will Ihnen nicht zu nahe treten, aber ich denke, Sie überschätzen Ihre Möglichkeiten als unbekannter Künstler bei weitem. Es mag bei arriviertenKomponisten vorkommen, dass ein Werk binnen weniger Monate in die Konzertsäle kommt, bei Ihnen müssen wir erst einmal abwarten, ob sich überhaupt etwas machen lässt. Und wenn, dann nur in den üblichen Zeiträumen von ein bis zwei Jahren.«
»Ein bis zwei Jahre? Gütiger Himmel, wovon soll da einer leben? Zu m… – Mozarts Zeiten war ein Werk auf der Bühne, bald ehe es komponiert war.«
Singlinger lachte. »Mit dem Mozart haben Sie es aber, was? Aber wir leben nicht im achtzehnten Jahrhundert, wo der arme Mozart sich bestimmt so manche Katzenmusik hat anhören müssen, weil alles so rasch zu gehen hatte. Lassen Sie sich Zeit, Mustermann. Sie werden von mir hören.«
Und ohne viel Aufhebens ward er entlassen.
Welch mühsames Geschäft! Wie sollte er das Piotr erklären? Mit schweren Schritten tappte Wolfgang die Straße entlang. Gewiss, Piotr hatte recht, und Piotr wollte nur sein Bestes. Und schlussendlich war es ihm nicht nur tiefstes Anliegen, eine Musik zu komponieren, mit der er größten Ruhm zu erlangen vermochte, sondern göttliche Aufgabe – aus welchem anderen Grund hätte er sonst in diese Welt zurückkehren sollen? Mehr denn je war es seine heilige Pflicht, das Beste und Hervorragendste zu schaffen, etwas, zu dem einzig er fähig war. Oh, könnte er sich doch zu erkennen geben, so wären alle Probleme mit einem Schlage gelöst und er wäre stante pede an den Dirigentenpulten dieser Welt willkommen. Dort, wo er hingehörte. Wo man ihn als den würdigen musste, der er war, und seine Musik als das anerkennen, was sie wert war. Wäre er imstande, diesen ganzen steinigen Weg noch einmal zu gehen? Wo würde er ankommen? Er wusste selbst, dass es ihm nicht mehr lange genügen würde, als schäbiger Pianospieler durch die Lokale zu ziehen. Er gehörte in die großen Konzertsäle, die glorreichen Opernhäuser, doch in derStaatsoper, wo er vorzusprechen versucht hatte, war er fortgejagt worden wie ein streunender Gassenköter. Wolfgang zog die Schultern zusammen, als könne er sich damit vor dem aufziehenden Nieselregen schützen. Ja, Piotr hatte recht, und Wolfgang würde tun, was Piotr ihm aufgetragen hatte. Er würde schreiben und spielen und fürs Erste in Gottes Namen die verhassten Lectionen geben.
***
»Meine Herren, hat noch jemand ein Anliegen, oder können wir die Versammlung schließen?« Der Rektor der Musikhochschule stopfte Schreibblock und Stift in seine Aktentasche und machte Anstalten, sich zu erheben.
»Ich hätte in der Tat noch ein Anliegen an die Herren Kollegen.« Professor Robert Michaelis stand auf und begann die vorbereiteten Kopien zu verteilen. »Ich möchte Sie bitten, sich das hier anzusehen. Es handelt sich um Neubearbeitungen des mozartschen
Requiems
, Teile Sanctus und Benedictus.«
»Woher haben Sie das?«
»Einer meiner Studenten hat es … hm, aufgefunden und mir zur Prüfung vorgelegt. Nach ausführlicher Besprechung mit dem Kollegen Heimert bin ich zur Ansicht gekommen, dass es sich um einen Meilenstein in der Suche nach einer möglichst mozarttreuen Requiemfassung handelt. Wenn Sie zur gleichen Ansicht gelangen …«
»Ihnen liegen nur diese Teile vor?« Der Rektor rückte seine Brille zurecht.
»Nein, Skizzen bzw. ausgearbeitete Teile des Agnus Dei und des Communio sind ebenfalls vorhanden. In handschriftlicher Form.«
»Das ist unglaublich, daraus spricht in der Tat eine solche Leichtigkeit und ein Genie, es könnte tatsächlich direkt aus Mozarts Feder stammen. Sind Sie sicher, dass demkein bisher unbekanntes Autograph Mozarts zugrunde liegt? Das wäre eine Sensation!«
»Nun, daran habe ich natürlich auch gedacht und entsprechend
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