Herr Mozart wacht auf: Roman (German Edition)
allen Seiten. Die Tasse sah aus, als stamme sie aus dem Eichenbuffet der Frau Sittenthaler. Ihr Blick fiel auf die beiden gekreuzten Schwerter am Tassenboden. Was für ein wundersamer Kauz dieser Musiker war! Nochmals begann sie, den Brief zu lesen.
Mademoiselle!
mit der allergrößten ungeduld sie anzutreffen komme ich – in Eyle – folglich ohne Avisierung und also … – gefehlt! allein es hat nicht seyn solln und ich kann nichts weiters als mich in einbildung trösten, das sie meinem herzlichsten anliegen gnädig folgen wollen und jenes angebinde annehmen – im ausgleich zu ihrem verdruß, den meine person ihnen hinterlassen und Ausdruck meiner verbundenheit, bitte ich sie – fürderhin nicht allzu schlecht mehr auf mich zu denken!
vôtre très sincère
Wolfgang A. Mustermann
***
Er fand sich bei der U-Bahn wieder, sitzend, an die verschlossene Glastüre der Station gelehnt. Zuerst hatte er nichts als Geräusche vernommen, gelegentliches Brummen von Fuhrwerken, in das sich ein Surren oder ein einzelner Schlag mischte, hatte deutlich das Bild jener Klänge vor sich gesehen, und erst nach und nach war ihm aufgefallen, dass es keine Stille gab, keine Pause, nicht den geringsten Teil eines Taktes lang. Endlich hatte er bemerkt, dass sein Rücken vom Sitzen steif war und die Nachtkälte klamm in seinen Hosenbeinen hing.
Es wäre vollends finster gewesen, wäre nicht ein fahles Nachtlicht aus den Glastüren der Station gedrungen, hätten nicht Poller den kleinen Sandweg beleuchtet, der zur Straße führte, hätten nicht die Straßenlampen weithin sichtbar gestrahlt, hätte nicht ein Scheinwerfer, hoch oben an einem Baukran befestigt, sein gleißend grelles Taglicht über allem verschüttet. Vor Müdigkeit fröstelnd und mit matten Gliedern, rappelte Wolfgang sich auf und war sicher, dass er jetzt und an diesem Ort nicht sein konnte, fand sich hingeworfen an einen Platz, den er nicht gesucht und nicht gewählt hatte. Er rüttelte an der Türe, doch die Station war verschlossen, also musste es lange nach Mitternacht sein. Durch das Glas sah er das grüne Signet der U4, las Schönbrunn und spürte die Verzweiflung durch seine Adern rinnen.
An Piotr konnte er sich erinnern, an den Agenten Bangemann; da hatte ein junger Mann gesessen, auf der Passstelle und … ja, er hatte ihr Zimmer betreten, ihren Duft gerochen, ihre Nähe gespürt.
Und dann? Für einen Augenblick war ihm, als müsse er schreien, all seine Hilflosigkeit der Nacht anvertrauen, doch was würde das nützen? Er fühlte die kühlen Spuren der Tränen auf seinen Wangen und zog los, über die breite Straße, immer die U-Bahn-Trasse erahnend, von jeder Kreuzung und jeder Hausecke eine Antwort erhoffend, bis er mutlos und bar jeden Glaubens zum Südbahnhof fand, von wo er den Weg nach Hause kannte.
Piotr gab nur ein Brummen von sich, als Wolfgang endlich auf sein Bettsofa sank. Über dem schiefernen Horizont hing das erste Tagesgrau. Wolfgang schloss die Augen, versuchte zu fliehen, in die Geborgenheit vertrauter Plätze und Gesichter, in die Glückseligkeit vergangener Umarmungen und schließlich in die Wahrheit der Klänge, doch die nachthellen Straßen und Plätze holten ihn ein, Lichter und Fuhrwerke flogen auf ihn zu, Mauern und Menschenumkreisten ihn und immer wieder die Angst, selbst den schwankenden Boden unter den Füßen zu verlieren.
***
Anju zog sich die Jacke vor der Brust zusammen und stemmte die schwere Glastür auf. Sie war erst ein Mal im
Blue Notes
gewesen und hatte sich danach nie wieder überreden lassen, dorthin zu gehen. Sie behauptete, das viele blaue Licht bereite ihr Unbehagen. Die Wahrheit jedoch war, dass sie sich verloren fühlte inmitten der gestylten Leute, die alle so taten, als gehörten sie einem Club an, zu dem Anju der Zutritt verweigert war. Sie hatte nie den Mut gehabt, schön zu sein.
Aus einer Nische tastete sie mit ihrem Blick durch das übervolle Lokal. Niemand nahm Notiz von ihr. Anju spürte, dass sie ruhiger wurde, nur ihr Herzschlag klang noch nach Treppensteigen, und sie musste sich eingestehen, dass die Atmosphäre angenehm war, so angenehm, dass sie sich zögernd weiterwagte. Stimmengewirr vermischte sich mit gelegentlichem Lachen und Gläserklirren, und über allem lag Musik, wob sich zwischen den Menschen hindurch und erschien mit einem Mal wie ein Netz, das alles verband. Wie im Kino, fiel es ihr ein, wo die Musik dem Geschehen erst Leben gab, indem sie alle Stimmungen so
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