Herr Mozart wacht auf: Roman (German Edition)
verschwunden wäre. Hilflos begann er zu lachen.
Der Agent verzog die Lippen kaum merklich. Wolfgang glaubte ein Stöhnen zu hören. »Beim Magistrat. Lassen Sie sich in Gottes Namen von meiner Sekretärin helfen.« Ohne aufzustehen, wies Herr Bangemann mit dem Kopf zur Tür und nickte dann zum Abschied knapp in Wolfgangs Richtung.
Mit bangem Herzen stieg Wolfgang die Treppen des Magistratsgebäudes hinauf. Diese unheilvolle Ahnung, es mit einem Problem zu tun zu haben, das seine wirklichen Ausmaße vor ihm verbarg, kannte er nur zu gut. Er folgte der Ausschilderung »Passstelle« und gelangte in ein großes Comptoir. Er sah Menschen und Schreibtische und Leuchtkästen und blieb unschlüssig stehen. Er vermisste Piotr. Schließlich wandte er sich an einen jungen Mann, der auf einem Stuhl an der Wand saß und gleichförmig mit dem Kopf zuckte.
»Ich, äh … Verzeihung. – Ich brauche einen Ausweis.«
»Was?« Der andere griff in sein Ohr, zog etwas heraus, hörte auf zu zucken und sah Wolfgang fragend an.
»Ausweis. Ich muss einen Ausweis haben.«
»Ach?« Der junge Mann grinste. »Schau an.«
»Man hat mich daher verwiesen, indes, ich bin drüber unklar …«
»Setz dich her, stimmt schon alles. Hast eine Nummer?«
Wolfgang sah sich um. Von irgendwoher kam rhythmisches Geschepper, sicher fuhr ein Toyota mit offenem Fenster durch die Straße, unlängst erst hatte ihn einer mit seiner lärmigen Musik aufs äußerste erschreckt.
»Da.«
»Wo?« Wolfgang folgte dem ausgestreckten Arm des Mannes, wusste sich keinen Reim darauf zu machen und hob die Schultern. Der junge Mann sprang auf, drückte auf einen Kasten neben dem Eingang und reichte Wolfgang einen kleinen Zettel. Erfreut sah Wolfgang darauf. Das war einfacher, als er gedacht hatte.
»Setz dich daher«, wies ihn der andere an. »Da oben in dem Kastl kannst sehen, wann deine Nummer dran ist.«
»So ist dies nicht mein Ausweis?«
Der Mann ließ ein verzerrtes Grinsen sehen, schob wieder in sein Ohr, was er zuvor herausgenommen hatte, unddas Geschepper erstarb. Ehe Wolfgang der Sache nachgehen oder ihn gar hätte fragen können, war er aufgesprungen und zu einem der Schreibtische gelaufen.
Wolfgang betrachtete abermals den Zettel in seiner Hand. 256 stand darauf. Er sah auf die Kästen, die der Mann ihm gezeigt hatte, fand dort eine 248 geschrieben, dann plötzlich eine 249 und begann zu begreifen. Wachsam lehnte er sich zurück. Vor dem nächstgelegenen Schreibtisch saß eine Dame mit silbergrauem Haar, breitete Papiere vor sich aus und hielt die Hand hinter die Ohrmuschel, während eine Frau überlaut auf sie einsprach.
»Das kann ich aber nicht brauchen, das Bild, da müssten Sie ein neues machen lassen.«
»Aber das ist doch das gleiche wie bei dem alten Ausweis, das hab ich extra bewahrt.«
»Na, das geht aber nicht, das darf höchstens ein halbes Jahr alt sein, und so, wie das aufgenommen ist, geht’s eh nicht, der Kopf ist viel zu klein. Schauen Sie, so wär’s korrekt …« Sie wies auf ein großes Plakat an einer Stellwand, auf dem Reihen von Portraits abgebildet waren.
»Und so schaut er dann aus, der Ausweis?« Die Alte wies mit zittriger Hand und zusammengekniffenen Augen auf ein weiteres Plakat.
»Genau. Aber dafür brauchen wir …«
Wolfgang hörte nicht mehr zu, starrte nur auf das himmelblaue Rechteck, auf das die Alte gezeigt hatte. Neben verschiedenen Zeichen trug es das Bild eines fremden Mannes, und daneben prangte der Name
Max Mustermann
. Wolfgang spürte, wie seine Kehle eng und seine Wangen heiß wurden, vernahm das blubbernde Gis, das den Aufruf einer neuen Nummer verkündete, und sprang auf. 256. Über einem der Schreibtische leuchtete ein grünes Licht. Zögernd nahm Wolfgang gegenüber einer gewichtigen Dame Platz, versuchte zu lächeln, atmete tief durch und brachte sein Anliegen vor.
»Haben’s Ihren alten Ausweis dabei?«
Wolfgang schüttelte den Kopf. »Nein, ich …«
»Den müssen’s aber mitbringen, der wird eingezogen.«
»Ich … äh, habe keinen.«
»Verloren, also.« Sie nickte, notierte etwas auf einem Papier. »Die Geburtsurkunde dann, bitte.«
»Verloren«, versuchte es Wolfgang.
»Verloren?« Sie sah auf, runzelte die Stirn. »Aber irgendetwas müssten’s schon haben. Meldezettel? Reisepass? Führerschein?«
Wolfgang schüttelte den Kopf.
»Studentenausweis? Irgendwas?«
»Nichts. Alles verloren.«
»Ja wenn’s goarnix haben, dann brauchen’s erst einmal eine neue Geburtsurkunde.«
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