Herr Mozart wacht auf: Roman (German Edition)
darüber fallen!
»Ist jemand zu Hause?« Die Stimme des Postboten klang, als wäre er heute schon von drei Hunden gebissen worden.
»Einen Moment bitte!« Anju lief zur Tür. Vor ihr stand, mit raupenkleinem Lächeln, Wolfgang Mustermann.
»Darf ich eintreten?« Er machte eine altmodische Verbeugung und hielt sich einen Blumenstrauß vor die Nase, als wollte er sich dahinter verstecken.
Anju sah in sein Gesicht, das hinter der knisternden Folie eigenartig irdisch und auf eine seltsame Weise staubig wirkte. Zaghaft griff sie nach dem Strauß, trat zur Seite und ließ ihn ein.
»Ich schwöre und gelobe, Gott sei mein Zeuge, dass ich auf dieses Mal nicht um eine Tasse hier bin.«
Sie lachte, aller Schreck fiel von ihr ab. »Also trinken wir Tee?«
Plötzlich hatte sie den Eindruck, mit jeder Faser ihres Körpers wach zu sein, lebendig und auf eine wunderbare Weise alarmbereit. Endorphine, dachte sie und musste grinsen, legte den Strauß auf den Küchentisch und begann wahllos, Küchenschranktüren zu öffnen und wieder zu schließen, bis ihr einfiel, dass sie nach einer Blumenvase hatte suchen wollen. Sie reckte sich zum Klappfach über dem Kühlschrank, wo sie unlängst eine hatte stehen sehen, reichte aber nicht hinauf.
»Darf ich behilflich sein?« Sie spürte, wie er hinter sie trat, so nah, dass sie nicht ausweichen konnte. Seine Wärme und sein Geruch, der sie in der U-Bahn so berührt hatte, umfingen sie wieder, als lege er schon seinen Arm um sie.
Mustermann wippte auf den Zehenspitzen, reichte zwar an die Klappe, vermochte sie jedoch auch nicht zu öffnen. Er ließ lachend die Arme sinken, und für eine winzige Ewigkeit standen sie schweigend beieinander. Fragend griff er nach einem Stuhl, doch Anju schüttelte den Kopf. »Wir nehmen einfach eines von den Weißbiergläsern«, entschied sie, drehte sich zur Seite und vergrub die Nase in die Blumen. »Danke, die sind schön!« Wie lange hatte sie schon keine Blumen mehr geschenkt bekommen? Roland hatte ihr in all den Jahren niemals welche mitgebracht.
»Ich … habe dich spielen hören, im
Blue Notes
, letzte Woche. Ich verstehe ja leider nicht viel davon, ich bin absolut unmusikalisch, aber das war wirklich so wunderschön, ich kann’s gar nicht sagen.«
»Unmusikalisch?« Anju war beinahe, als läge ein leiser Spott in seinem Blick. »So bist du wahrhaft dorten gewesen? Ich glaubte schon, an meinen Sinnen zweifeln zu müssen. Warum hast du dich vor mir versteckt?«
»Ich – äh, ich musste weg … meine Arbeit, ähm …«
Anju nahm die Thermoskanne, sah sich kurz nach ihm um, wandte sich jedoch gleich wieder dem Tee zu, als ihreBlicke sich berührten. Mit zwei dampfenden Tassen in der Hand bedeutete sie ihm, ihr zu folgen.
Sie bemerkte den Anflug von Unsicherheit in seiner Haltung, als er ihr Zimmer betrat und auf das Bett sah. Gleich wies sie auf die Sitzkissen am Boden, stellte das Geschirr ab und ließ sich nieder. »Danke, dass du mich aufgefangen hast«, sagte sie schließlich.
Er deutete mit dem Kopf eine Verbeugung an. Wieder spürte sie den anziehenden Duft, der ihn umgab; doch es war eigentlich kein Geruch, vielmehr schien ihr, als wäre die Luft um ihn herum fester, wärmer, sicherer.
»So hast du mir mein ungebührliches Benehmen verziehen?«
Anju lächelte, sie wusste nicht einmal mehr, wann ihr Zorn verflogen war. Eine Weile war nur die Stille zu hören und das ferne Rauschen einer Wasserleitung in der Wand.
»Ich erinnere noch immer eine Musik, die ich vernahm, als ich …« Er zögerte. »Als du mich einst zum Tee eingeladen hast. Fremdartig. Und wunderschön.«
Sie wusste sofort, welches Stück es gewesen war, immerhin hatte sie, noch lange nach seinem Besuch, mit der Musik in ihrem Zimmer verharrt. »Das war eine Raga, aus Indien.«
»Indien! Das ist deine Heimat, nicht wahr?«
»Meine Mutter stammt von dort, ich bin in Salzburg geboren.«
»In Salzburg?« Er strahlte hell. »Ich auch! Mein Gott, ich habe dich nicht nach deinem Namen gefragt.«
»Anju.«
»Anju«, er sprach es aus, als schmecke er die Buchstaben. »Es ist gewiss eine Silbermusik gewesen, die man stets aufs neue spielen und hören kann, nicht wahr? Ob mir das Vergnügen heute wohl zuteil werden mag, Anju?«
»Sicher.« Sie stand auf, griff die CD aus dem Regal. Das Cover war beinahe unleserlich geworden, billiges Papier,das die Farbe nicht hielt. Während das Sirren der Tabla ertönte, dachte sie an den kleinen, windschiefen Laden, der Eingang nur
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