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Herr Mozart wacht auf: Roman (German Edition)

Herr Mozart wacht auf: Roman (German Edition)

Titel: Herr Mozart wacht auf: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Baronsky
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groß, so unmittelbar, so greifbar werden ließ. Das flackernde Licht eines riesigen Kerzenleuchters, der auf einer kleinen Bühne stand, halb verdeckt vom geöffneten Deckel eines blau schimmernden Flügels, nahm sich seltsam unwirklich in der kühlen Atmosphäre des Lokals aus.
    Dann sah sie ihn. Für einen Luftsprung setzte ihr Herz aus. Sie konnte ihn nur im Profil betrachten, erkannte aber sofort die markante Nase und die eigenartig toupiert wirkenden Haare. Dennoch hatte sie den Eindruck, als könne das nicht der linkische, nervöse Mann sein, der in ihrerKüchentür gestanden und wie ein Tier gewirkt hatte, das aus seinem vertrauten Revier in eine unbekannte, gefährliche Region vorgedrungen war. Dieser Mann saß aufrecht am Flügel und strahlte Klarheit und konzentrierte Ruhe aus. Anju schob sich näher heran, beobachtete fasziniert seine kleinen Hände, die mit so großer Zärtlichkeit über die Tasten wanderten, als hätte er es nicht mit einem Instrument, sondern mit einer Geliebten zu tun. Seine Hände, die sie gehalten und sachte ihren Rücken liebkost hatten. Zitternd hob sie ihre Hand, strich sich eine Strähne aus dem Gesicht, erinnerte den Geruch dieses Mannes, der sich vor den Tasten hin und her bewegte wie ein sehr, sehr junger Baum im Wind. Sein ganzer Körper war eins mit dem Flügel, eins mit den Tönen. Und für eine winzige Ewigkeit war es Anju, als sei er eins mit ihr.
***
     
    Wolfgang zog die Noten auseinander, ließ sie breiter und transparenter werden wie die Schrift auf einem sich füllenden Luftballon, dehnte die letzten Takte, bis nur mehr einzelne Töne wie haltlose Fragezeichen im Raum stehenblieben.
    Nachdem er geendet hatte, griff er nach seinem Bierglas, und ihm war, als würden die Gespräche um ihn herum wieder anschwellen. Er dachte an die Vogelfrau, sah sie in der U-Bahn-Station, wie sie davonlief, sich noch einmal umwandte, ihr weiter bunter Rock umtanzte ihre Fesseln.
    Wie er den Blick über die Menge schweifen ließ, kam es ihm vor, als blicke er nach draußen, obwohl er just inmitten all dieser Menschen saß. Ein Gebräu aus Geräuschen umfing ihn, und er versuchte einen roten Faden zu finden in diesem Brei aus Lauten, Buchstaben, Höhen und Tiefen, die für sich ihren Sinn ergaben und doch in der Summe nur zu einem Rauschen wurden, das unerhört verklang.Und ohne es zu wollen, setzte er an, flocht Töne ineinander, die sich nicht gehörten, brach ab und neu auf, schwamm durch die Töne und durch die Gesichter, die sich ihm darboten in gleichförmiger Vielfalt.
    Plötzlich hielt er inne. Sah noch einmal in die Richtung. Sachte musste er lächeln. Nein, natürlich war sie nicht wirklich da. Aber in seiner Phantasie doch so sehr bei ihm, dass er sie schon zu sehen geglaubt hatte.

Hostias
     
    Hostias et preces tibi, Domine, laudis offerimus,
    tu suscipe pro animabus illis,
    quarum hodie memoriam facimus:
    fac eas, Domine, de morte transire ad vitam.
     
    Wolfgang streunte durch die Stadt.
    Er brachte es nicht fertig, zu arbeiten, obschon so viel Musik in ihm war. Es war ein Warten, ein Ausharren und Hintanstellen, voll Zuversicht, dass er, wenn er erst eine erlösende Nachricht von ihr bekäme, umso eifriger bei der Sache wäre. Den Gedanken, dass sein Warten umsonst sein könnte, seine Hoffnungen immer dünner und durchscheinender würden, bis seine Tage wieder so aussähen wie bisher, ließ er ungedacht.
    Tagelang durchstreifte er die Museen, wo Dokumente, Bilder und Gegenstände ihm den Staub dessen entgegenschrien, was ihm einst seine Zukunft gewesen war, hielt sich in den Buchhandlungen auf, staunte über die Unmengen von Büchern, die dort feilgeboten wurden, und über die Ungeheuerlichkeiten, von denen die Chronisten zu berichten wussten.
    Nicht einmal vor seinem Sterbebett hatten sie haltgemacht und ihm noch Dinge in den Mund oder vielmehr Pauken an denselbigen gelegt, von denen er überhaupt nichts wusste. So etwas sollte seine Schwägerin Sophia erzählt haben? Dass er im Sterben noch die Pauken nachgeahmt habe? Sie hätte es wahrlich besser wissen müssen. In keinem seiner Leben hatte er je das Bedürfnis gehabt, mit aufgeblähten Backen Pauken zu imitieren, warum in Gottes Namen hätte er es ausgerechnet auf seinem Totenbett tun sollen?
    Auch jetzt betrat er, auf der Flucht vor einem überraschenden Regenguss, eine Buchhandlung und fragte sichzu den Büchern über Musik durch. Im hinteren Teil des Ladens stieß er auf einen Tisch, auf dem er ein dünnes

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